Das Jahr ist rum. Zeit für einen Rückblick auf die gelesenen und gehörten Bücher. Und für die Auswahl der besten. Die erste Überraschung, als ich mich an die Auswahl gemacht habe: Es ist nur ein englischsprachiges Buch unter den besten fünf, dafür gleich drei Deutsche. Ungewöhnlich, da ich doch mehr Englisches als Deutsches gelesen habe. Die zweite Überraschung: Nur zwei meiner Lieblinge sind 2019 erschienen. Die anderen drei sind älter, eins davon sogar über 150 Jahre alt. Seid ihr ein bisschen neugierig?
Hier sind sie also, meine ganz persönlichen Top 5:
Platz 5: „Westwall“ von Benedikt Gollhardt, Hörbuch gelesen von Uve Teschner, erschienen 2019
Da hatte ich nicht mit gerechnet: Nach einer langen Phase der Thriller-Allergie (zu viele, immer irrere, immer brutalere Serienkiller-Schema-F-Thriller), überraschte mich ein deutsches Genre-Debüt mit einem brisanten Thema, Spannung und einem interessanten Mikro-Fokus. Benedikt Gollhardt steckt uns in die Haut einer jungen Polizeianwärterin, und über sie geraten wir in einen Sumpf braunen Terrors im kleinen, erschreckend nachvollziehbaren Rahmen, in dem auch bei den verdeckt arbeitenden Spezialisten nicht so klar ist, wer in welcher Schattierung von braun unterwegs ist. Zusätzlich wird es immer persönlicher, immer verwobener, und auch wenn der Schluss ein paar Schwächen aufweist und die weibliche Hauptfigur etwas zerfliest: Das ist mal ein deutscher Thriller, der nicht nach Fitzek-Masche gestrickt ist, und einen trotzdem am Hörbuch kleben lässt.
Hinzu kommt noch Sprecher Uve Teschner, der immer gut ist, hier aber eine absolute Meisterleistung abliefert. Überzeugende Frauenstimmen, tolle Differenzierung und ein besonders gelungener stimmlicher Charakterkopf sowie äußerst saubere Vortragsart bringen „Westwall“ einen Platz unter meinen Top 5 ein.
Platz 4: „The Magus“ von John Fowles, erstmals erschienen 1965
Das gleichnamige BBC-Hörspiel brachte mich zu diesem Kult-Roman aus den 60ern, und ich finde einfach keine bessere Bezeichnung als „mindfuck“ für dieses psychologische, mystische und gewagte Verwirrspiel des englischen Autors John Fowles. Die grobe Story: Nicholas Urfe, ein englischer Student, heuert in den 50er Jahren als Lehrer in einem Internat auf einer kleinen griechischen Insel an. Dort begegnet er dem enigmatischen Maurice Conchis, der in einer herrschaftlichen Villa lebt und Nicholas mit Hilfe von Schauspielern, falschen Tatsachen und einem eineiigen Zwillingspaar in ein fesselndes Psycho-Spiel hineinzieht.
Der Roman löste auf Grund seines nicht eindeutigen Endes viele Diskussionen aus. Aber so frustrierend der Schluss auch ist – er ist gleichsam faszinierend, und der gewagte Roman wirft auf seinem Weg dahin mit Zitaten und Verweisen auf etliche Schriftsteller, Künstler, Philosophen und Mythen um sich, dass es eine Freude ist, sich tiefer damit zu befassen.
Und die (wenn auch stark editierte und verharmloste) Hörspiel-Fassung der BBC mit Tom Burke, Charles Dance und Hayley Atwell in den Hauptrollen ist eine großartige Ergänzung dazu.
Platz 3: „Twenty Years After“ von Alexandre Dumas, erstmals erschienen 1845
Meine Klassiker-Liebe führte mich 2019 zurück in die Arme meiner vielleicht liebsten Abenteur-Helden: die berühmten Musketiere, erschaffen von Alexandre Dumas. Diese Fortsetzung von „Die drei Musketiere“ hat alles, was das Klassiker-Herz begehrt: Abenteuer, Spannung, Drama, Intrigen und auch das ein oder andere Duell mit dem Degen. Natürlich: für moderne Lesegewohnheiten kommen Längen auf, aber ich bin begeistert, wie Dumas Fiktion und Historie miteinander vermischt und die Geschichte der legendärsten Männerfreundschaft fortsetzt. Diesmal stehen die vier „Unzertrennlichen“, Athos, Aramis, Porthos und d’Artagnan, vor einer Zerreissprobe, da unterschiedliche politische Loyalitäten und persönliche Ziele sie in verschiedene Lager spalten. Das gibt diesem 2. Musketier-Roman innere Spannung und mehr Tiefe.
Mich fesseln Dumas‘ noble Helden jedenfalls so sehr, dass im neuen Jahr der 3. Roman ansteht. Ohne „meine“ vier Jungs kann ich nicht lange…
Hier geht’s zur Rezension!
Platz 2: „Zorn: Lodernder Hass“ von Stephan Ludwig, Hörbuch gelesen von David Nathan, erschienen 2018
Das Erscheinen eines neuen Falls für Hauptkommissar Claudius Zorn und seinen vornamenlosen Kollegen (und inzwischen besten Freund) Schröder sorgte erstmal dafür, dass mein Mann und mein Sohn sich darauf stürzten – und ich endlich mal mit der Reihe aufholte und mich nacheinander durch die Fälle 6 bis 9 hörte. Diesen hier, den 7. Fall, konnte ich kaum aus den Ohren nehmen und bin beim Hören nicht eine Sekunde abgeschweift.
In „Lodernder Hass“ treibt ein perfider Mörder immer mehr Mitglieder einer Therapiegruppe auf verschiedene Weise in den Tod. Ganz gemein: Ludwig ködert uns zu Beginn mit dem Schluss, der uns erwartet, und einem der beiden Kommissare in höchster Gefahr. Auch toll: Die Freundschaft der beiden Ermittler und Zorns neue Rolle als Vater sorgen für Bewegung in der bisher ziemlich statischen Charakterentwicklung. Das Finale ist sauspannend, und trotz wachsender Brutalität und Ernsthaftigkeit der Reihe bleibt der gewohnte comic relief erhalten.
Und dann ist da noch David Nathan: Der spricht den brummeligen Zorn und den gewitzten Schröder, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Macht diebischen Spaß!
Platz 1: „Blackbird“ von Matthias Brandt, Hörbuch gelesen vom Autor, erschienen 2019
Eine Entdeckung von der Frankfurter Buchmesse: Nichts ahnend, auf der Suche nach einem kürzeren Hörbuch für zwischendurch, stecke ich mir irgendwann im Herbst „Blackbird“ von Schauspieler und Kanzlersohn Matthias Brandt auf die Ohren. Und bin nach ein paar Sätzen völlig verzaubert: Da zieht der mich mit seiner Geschichte um den 15-jährigen Motte, die erste Liebe, seinen krebskranken Kumpel Bogi und das Jungsein in den 70er Jahren doch glatt zurück in meine eigenen Vergangenheit. Okay, ich war in den 80ern ein Teenager, aber so vieles ist mir vertraut: vom fiesen Sportlehrer über den Schallplattenladen, vom Briefchenschreiben in der Schule bis zum stundenlangen Blockieren des einzigen Festnetztelefons (mit Wählscheibe) bis hin zu den Gedanken und Gefühlen, in den Tod und Leben, Leichtigkeit und tiefer Ernst ganz nah beieinander liegen.
Brandt hat eine Mischung aus nostalgischem Jugendroman und coming-of-age Geschichte geschaffen, die er ebenso ruhig wie intensiv, so humorvoll wie traurig vorträgt, dass es einen in den Bann schlägt. Ein kleiner Roman zum Lachen und Weinen, aus dem ich wie vom Donner gerührt wieder aufgetaucht bin und erstmal kaum wusste, wo ich mit mir hinsollte.
Matthias Brandt Kurzgeschichtensammlung „Raumpatrouille“ habe ich dann gleich hinterhergeschoben. Genauso großartig. Und dass ich pünktlich zum Verkaufsstart der Tickets für die LIT.Cologne auf der Autobahn extra auf einen Parkplatz gefahren bin und fiebrig Karten für eine „Blackbird“-Lesung ergattert habe, beweist eigentlich nur, dass dieses Hörbuch verdient auf Platz 1 meiner Hitliste gelandet ist.
Was mir gerade auffällt…
Die Top 5 meiner Lieblinge sind alle von männlichen Autoren. Das hat sich einfach so ergeben und ist tatsächlich nicht aufgrund eines grundsätzlichen Ungleichgewichts der von mir gelesenen/gehörten Bücher so gekommen. Ich habe extra nachgezählt: In der Tat beträgt das Verhältnis von weiblichen zu männlichen Autoren, die ich 2019 gelesen habe, fast genau 1:1! 19 männliche Autoren und 18 weibliche fanden mit ihren Werken Platz in meinen Bücherregalen – ohne, dass ich bewusst darauf geachtet habe, fand bei mir also literarische Gleichberechtigung statt.
Dass die fünf von mir am meisten geliebten Titel von Männern stammen, verbuche ich daher unter reinem Zufall. Gleich danach folgen aber starke Titel aus Frauenhand, die ich wenigstens erwähnen möchte:
- „The Song of Achilles“ von Madeline Miller
- „Alles, was ich dir geben will“ von Dolores Redondo (Rezension)
- „The Abyss“ von Marguerite Yourcenar
- die „Tyack & Frayne“ Mystery-Reihe von Harper Fox
- und ein Re-read von Charlotte Bronte’s Klassiker „Jane Eyre“ (Rezension)
…sind nur ein paar der Titel, die von mir auch mit sehr guten Bewertungen versehen wurden.
Jetzt seid ihr dran: Was waren eure liebsten Bücher und Hörbücher des Jahres? Und warum?
Blackbird fand ich auch prima! Die anderen kenne ich (noch) nicht. Zorn habe ich auch auf meiner Liste, höre ich immer ganz gerne. Englischsprachige Hörbücher traue ich mir nicht zu.
Doch sind ein paar schöne Anregungen dabei.
Viele liebe Grüße
Silvia