Ich bin noch nicht drüber weg. Nicht über Porthos, nicht über Athos und d’Artagnan. Und fangt mir gar nicht erst mit Aramis an! Mit dem habe ich sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen! Aber wie ich es auch drehe und wende: Es ist vorbei mit den Musketieren. Das letzte Buch der Roman-Reihe, „Der Mann in der eisernen Maske“, liegt zwar immer noch genau da, wo ich vor zwei zwei Monaten die letzte von insgesamt dreieinhalbtausend Seiten der Saga gelesen habe. Und, wie es sich gehört, hatte ich dabei ein Glas Wein in der einen und ein vollgerotztes Taschentuch in der anderen Hand. Aber das war’s.
Wie hätte ich denn auch ahnen können, auf was für eine begeisternde, schwungvolle, dramatische Reise ich mich mit diesen vier französischen Kerlen begeben würde, als im Herbst 2018 in einem stecken gebliebenen Zug, auf dem Weg zur Buchmesse, Alexandre Dumas‘ „Die drei Musketiere“ begann? Und durch welch turbulente zwei Jahre mich die Musketiere daraufhin begleiten würden? Sie haben mir in Krankenhaus-Warteräumen die Hand gehalten, haben mir in schlaflosen Nächten Gesellschaft geleistet und sind mit mir in den Lockdown gegangen. Sie haben Glück und Leid mit mir geteilt. Beste „Begleiterscheinung“: Sie haben mir eine Mitleserin und inzwischen echte Freundin am anderen Ende der Welt beschert.
Die Faktenlage:
Falls ihr euch in der Materie nicht so auskennt: Die Musketier-Saga von Alexandre Dumas (dem älteren) erschien zwischen 1844 und 1847 als Fortsetzungsroman und wird heute in drei bzw. fünf Bücher aufgeteilt:
- Die drei Musketiere
- Zwanzig Jahre danach
- Zehn Jahre später, bestehend aus:
- Der Vicomte von Bragelonne
- Louise de la Vallière
- Der Mann in der eisernen Maske
Die Romane begleiten d’Artagnan, Athos, Aramis und Porthos von d’Artagnan’s Ernennung zum Musketier bis ins Alter, über zwei Könige, mehrere intrigante Kardinäle und unzählige Abenteuer in Frankreich und England hinweg. Geschickt bettet Dumas dabei epische Fiktion in tatsächliche Historie ein – wenn auch mit einer unbekümmerten Nonchalance, was Irrtümer und Kontinuitätsfehler angeht. So kann es passieren, dass eine bereits verstorbene Figur ein Buch später wieder quicklebendig auftaucht. Und Distanzen zwischen Handlungsorten, Jahres- oder Tageszeiten sind eher Verhandlungsbasis als Tatsachen. Mit solch störendem Perfektionismus gab sich der großzügige Dumas nicht ab!
Die Musketier-Saga spielt im 17. Jahrhundert, zur Zeit des berühmten Kardinals Richelieu und des Sonnengottes Louis XIV, in einer Zeit des Absolutismus, in der Epoche des Barock – geschrieben wurde sie aber von einem heillosen Romantiker aus dem 19. Jahrhundert. Und das ist es wohl, was mich so von den Füßen gefegt hat: Natürlich geht es viel um Politik, um Intrigen am königlichen Hofe. Aber vor allem geht es um das Herz und um die Ehre. Drama, baby!
Das Herz der Angelegenheit
Keiner der Musketiere erlebt zwar eine glückliche Romanze (vor allem Athos nicht, der sich aufgrund einer der ersten femmes fatales der Literaturgeschichte in einem Weinkeller fast zu Tode säuft). Doch im Palast wird gelustwandelt und geschmachtet, dass die Balken biegen, und Herzen brechen zahlreich. Vor allem aber wird sich aus jedem erdenklichen Grunde duelliert und für Ehre, Vaterland und König ins Abenteuer gestürzt. Die Freundschaft der vier Musketiere ist legendär. JEDER kennt den Spruch „Alle für einen und einer für alle“, und hier wurde er geboren. Hier ist sie, die unbestritten größte Bromance aller Zeiten, bei der sich Männer weinend in die Arme fallen, und wo Verabschiedungen schon mal drei Seiten dauern, bis jeder dem anderen seine Treue und Liebe geschworen hat. Hach!
Mit unfassbarer Verve, mit Schalk und ganz großen Gefühlen geschrieben, habe ich diese völlig unterschiedlichen „Jungs“ – den stürmischen d’Artagnan, den noblen Athos, den bärenstarken Porthos und den listigen Aramis – nur zu gerne begleitet und dabei festgestellt, dass Dumas da echte page turner geschrieben hat: Keinen dieser Schinken konnte ich gut aus der Hand legen. Cliffhänger hatte der gute alte Alexandre wirklich drauf! Ebenso wie gewitzte Dialoge, wundervolle Charakterporträts und die ein oder andere Action-Szene, die einem den Atem raubt!
Von schwungvollem Start bis zum bitteren Ende
Dabei ist „Die drei Musketiere“ der schwungvollste der Romane, und vermutlich auch deshalb der bekannteste. Die Folgebände sind politischer, haben mehr Längen, weniger Action und sind am Ende ein Abgesang Dumas‘ auf die „gute alte Zeit“ und ihre ehrenhaften Helden alter Schule. Dafür sind die Schlussbände komplexer, zeigen eine feinsinnige Figurenentwicklung und stellen die legendäre Freundschaft der Helden vor so manche Zerreißprobe. Das ist anspruchsvoller zu lesen, letztlich aber interessanter. Und mit „Der Mann in der eisernen Maske“ schwingt sich Dumas noch mal zu ganz großem Kino auf.
Adieux!
Tja. Und dann war es plötzlich vorbei. Und dramatischer konnte es kaum sein. Denn am Ende von „Der Mann in der eisernen Maske“ sind unsere vier Freunde nicht nur ergraut und haben die besten Jahre hinter sich, sondern die Ereignisse überschlagen sich, und nur einer von ihnen kommt am Schluss mit dem Leben davon. Bitter und herzergreifend. Kinder, was habe ich geheult!
Und jetzt liegt es also immer noch da, auf dem Beistelltisch neben meinem Lesesessel – das letzte Buch der Reihe, und ich bringe es nicht fertig es da wegzunehmen und ins Regal zu seinen Brüdern zu stellen. Aber irgendwann in den nächsten Tagen schaffe ich das. Dann sage ich ganz leise „Adieux“, drücke das Buch nochmal und stelle es weg. Zumindest bis ich’s dann wieder hervorhole und die ganze Saga nochmal von vorne lese. Einmal Musketier, immer Musketier. Oder, wie d’Artagnan sagen würde: Mordioux!