Titel: exit RACISM
Autorin: Tupoka Ogette
Format: Hörbuch (Stream)
Sprecherin: Tupoka Ogette u.a.
Sprache: Deutsch
Anbieter: Unrast Verlag e.v.
erschienen: 2017
Das Hörbuch ist digital als Download oder zum Streamen bei folgenden Plattformen erhältlich: Audible, Spotify, Bookbeat, GooglePlay, Apple Music, Napster, Deezer, Audiolibrix, Storytel, YouTube Music und Tidal.
Zum Hörbuch:
Ich bin ein Rassist. Diese bittere Erkenntnis kam mir ziemlich schnell, während ich „Exit Racism“ hörte. Ich, die ich doch so gar nichts gemeinsam habe mit Nazis, Rechten oder sonst irgendwelchen Menschen, die Personen anderen Herkunft und/oder Hautfarbe feindselig gegenüberstehen. Ich, eine weltoffene, vehement für Vielfalt eintretende, moderne Frau, die selbst schon im Ausland gelebt hat. Niemals hätte ich das von mir gedacht, aber: Ich bin ein Rassist.
Denn Rassismus, wie Tupoka Ogette, Anti-Rassismus-Trainerin, uns in ihrem Workbook bzw. Hörbuch erklärt, ist nur zu einem geringen Anteil die Parolen brüllende rechte Fratze oder der offen gegen Flüchtlinge hetzende Nachbar. Das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Der größere Teil sind Menschen, die Teil eines rassistischen Systems und sich dessen gar nicht (oder nur zum Teil) bewusst sind. Die dort hineingeboren wurden und sich über ihre Privilegien gar nicht richtig im Klaren sind. Die blinde Flecken in ihrem Rassismus-Radar haben und sie gar nicht sehen können, weil sie darüber nie wirklich aufgeklärt wurden. Menschen wie du – und wie eben auch ich.
Das sind Menschen hierzulande, die es gut meinen, wenn sie eine Person Of Color (POC) auf Englisch ansprechen, weil sie automatisch davon ausgehen, dass diese Person ja gar nicht deutsch sein kann. Die auf Parties eine/n Schwarze Person fragen: „Wo kommst du denn eigentlich her?“, obwohl die- oder derjenige soeben eine deutsche Stadt als Heimatort genannt hat. Das sind auch Menschen, denen es noch nie aufgefallen ist, dass die Puppen, mit denen ihr Kind im Kindergarten spielt, alle nur weiß sind, und dass beim Malen „hautfarben“ automatisch „rosa“ bedeutet. Und dass ihre älteren Kinder im Geschichtsunterricht vielleicht am ganz Rande erfahren, dass es deutsche Kolonien gab, aber nichts von deutschem Genozid an Schwarzen Völkern oder dem deutschen Anteil an Sklaverei.
„Happyland“ nennt Tupoka Ogette diesen Zustand. Ein – äußerst bequemes – Unwissen, dessen auch ich mich teilweise schuldig gemacht habe. Aber „Exit Racism“ dient nicht der Schuldzuweisung, sondern der konstruktiven Aufklärung. Ein Augenöffner, im wahrsten Sinne des Wortes. Ogette führt ihre Hörer*innen in ebenso sachlichen wie handfesten und beeindruckenden Kapiteln durch die Tatsachen einer Existenz in „Happyland“ – und ermöglicht so den bewussten Auszug.
Sie führt uns durch die historischen Wurzeln des Rassismus, erklärt, was „weißes Privileg“ bedeutet, macht uns systemischen Rassismus bewusst und sensibilisiert uns für rassistische Sprache (und sagt, wie man es richtig macht), nennt viele konkrete Beispiele, erklärt das „Othering“ und ermöglicht durch das Erzählen alltäglicher Rassismus-Erfahrungen von BIPOC den Perspektivwechsel. Zusätzlich kann man sich auf der zugehörigen Website http://www.exitracism.de noch die im Hörbuch genannten Videos anschauen und Artikel lesen, die das Gehörte eindrucksvoll unterfüttern.
Ganz spannend sind auch die von anderen Sprecher*innen vorgelesenen Feedbacks zu den einzelnen Kapiteln, entstanden während Exit Racism-Workshops von Ogette. Nicht nur nimmt man Teil an der Bewusstwerdung der Teilnehmer*innen und findet sich in manchen Gedankengängen wieder, sondern der innere Widerstand gegen das im Hörbuch Gesagte, bei dem man sich auch selbst manchmal ertappt, ist auch immer wieder ein Thema. Es ist eben nicht einfach, zu erkennen, dass man Teil eines Systems der Unterdrückung und der Ausgrenzung ist. Erst recht nicht, wenn man sich schon für so aufgeklärt hielt, wie auch ich das getan habe.
Das Wichtigste, was sich aus Exit Racism mitnehmen lässt: Es geht nicht um Schuld oder eine Anklage; es geht um das Aufzeigen und um die möglichen Werkzeuge für eine echte Veränderung. Denn das unterscheidet Ogette’s (Hör)buch von vielen anderen Anti-Rassismus-Büchern: Hat man es gehört, weiß man nicht einfach nur, wie ungerecht und traumatisierend Rassismus ist; man bekommt ganz viel, was man anwenden und sofort anders machen kann. Und man erhält reichlich (friedliche) Munition, um andere auf ihren „Happyland“-Zustand hinzuweisen und mitzunehmen auf den Auszug.
Fazit:
Tupoka Ogette hat einen eindrucksvollen und ganz pragmatischen Augenöffner über Rassismus geschrieben und eine extrem hilfreiche Anleitung, rassismuskritisch zu denken und zu leben. Gerade, wer Rassismus weit von sich weist, wird hier mit Erkenntnissen heraus gehen, bei denen man erstmal schlucken muss – um dann hoch motiviert für Veränderung zu sein. Wer bereit ist, nicht nur über Rassismus (nicht weit weg in den USA oder sonstwo, sondern hier, in Deutschland, vor der eigenen Haustür) zu lernen, sondern auch das eigene Denken und Handeln zu hinterfragen, der kann mit Ogette’s Anleitung den Auszug aus Happyland beginnen. Unbedingt hören oder lesen!
Hallo Ute,
auf Tupoka Ogette bin ich vor einigen Monaten mal durch ein Spiegel-Interview (?) aufmerksam geworden und fand neben der sowieso schon bemerkenswerten Arbeit, die sie leistet toll, dass sie konstruktive Verbesserungsvorschläge macht und nicht nur anklagt und die Leserin damit im Regen stehen lässt. Auf deutschen „Black Lives Matter“-Demos sieht man mittlerweile auch immer wieder Schilder, die den Auszug aus Happyland fordern. Toll, dass du dich der Lektüre gestellt hast und so ehrlich darüber berichtest. Ich möchte das (Hör-)Buch auch unbedingt noch lesen und habe schon die Ahnung, dass es ungemütlich wird. Aber dazu ist es ja geschrieben.
Ich habe mich letztens auf einer Hochzeit mit meiner Sitznachbarin, einer Senegalesin, über afrikanische Autorinnen unterhalten und war zutiefst beschämt, dass ich nur eine Handvoll kannte und dann, dass ich ihre Namen nicht richtig aussprechen konnte, während sie ganz selbstverständlich mit englischen und französischen Namen um sich warf. Da waren sie wieder, white privilege und koloniale Vergangenheit.
Viele Grüße
Jana
Ja! Genau das ist so gut an „Exit Racism“: Es entblößt den (oft unbewussten) Rassismus, aber gibt ganz konkret Rat, wie man nicht-rassistisch handelt. Es entlarvt blinde Flecken bei einem selbst, und da erwischt man sich schon bei automatisch defensiven Gefühlen. Mir hat das ziemlich die Augen geöffnet, vor allem, was weißes Privileg angeht. Seit ich das gehört habe, hinterfrage ich mich und andere viel mehr, und ich greife auch immer mal wieder auf die Informationen aus dem Hörbuch bzw. von der dazu gehörenden Website zurück, wenn ich mir bei etwas unsicher bin, z.B. bei der Verwendung von Begriffen.
Das Hörbuch ist ebenso sachlich wie schnörkelos und dennoch eindringlich. Du bist ja ganz deutlich offen für das Thema – da wird das Hören für dich zu einer konstruktiven Lehrstunde werden!
Beste Grüße,
Ute