Meine Top 10 (Hör-)bücher 2020

Das war vielleicht ein Jahr…! Bei mir hat der ganze 2020er Stress auf die Lesestatistik gedrückt. Das lag aber auch daran, dass einige dicke Schinken dabei waren und einige Re-Reads bzw. Hörbücher, die auf die ich in schwierigen Zeiten immer wieder zurück greife und schon zig-mal genossen habe.

Dennoch gibt’s eine Top 10, und die geht – in aufsteigender Reihenfolge – so:

False 10. Value von Ben Aaronovitch

False Value, Ben Aaronovitch

In seinem 8. Fall muss der Londoner Polizist und Magier Peter Grant Unstimmigkeiten in einer Cybertech-Firma genauer unter die Lupe nehmen. Das führt zu einem herrlich geekigen, wunderbar ironischen Porträt dieses ganz speziellen Milieus, und außerdem ist „False Value“ auch noch mit erstaunlich viel krachender Action vollgepackt. Neben den üblichen Easter Eggs und trockenem Humor ist dieser 8. Teil derjenige, der meiner Ansicht nach den stringentesten Plot hat. Und der ist – geben wir’s mal zu – in der Reihe ja oft eher Nebensache. Ach ja: Peter muss sich außerdem mit dem wachsenden Babybauch seiner Verlobten, der Flussgöttin Beverly, auseinandersetzen und der beängstigenden Tatsache, bald Vater von Zwillingen zu werden. Neuland für unseren coolen Polizisten!

Wie immer verwandelt Sprecher Kobna Holdbrook-Smith mit seinen verschiedenen Stimmlagen und Akzenten das Ganze in ein echtes Hörbuch-Spektakel.

Such A Fun Age, Kiley Reid

„Saviorism“ – das war für mich ein neuer Begriff in Sachen Rassismus. Dabei geht es um weiße Menschen, die meinen, Schwarze „retten“ zu müssen, sie dabei aber bevormunden, übergriffig vorgehen und oft erst recht eine Art Abhängigkeit und Herabsetzung verursachen. Hier ist es die Schwarze Babysitterin Emira, die in einem Supermarkt zunächst fälschlich der Entführung eines weißen Kindes bezichtigt wird; dann mischt sich die Mutter der Kleinen, eine privilegierte weiße Bloggerin und Influencerin, in die ganze Angelegenheit ein, und ein Video vom Vorfall im Supermarkt geht viral.

Kiley Reid macht es uns unbequem, denn zum einen entlarvt sie weißes Privileg, und zum anderen ist Emira nicht unbedingt sympathisch als Hauptfigur. Stoff für interessante Diskussionen und ein sehr wertvoller Roman zu einer weniger bekannten Form von Rassismus.

Unsichtbare Frauen, Caroline Criado-Perez

Das Buch, was mich 2020 am wütendsten gemacht hat! Caroline Criado-Perez deckt mit unendlich vielen belegten Fakten und Zahlen auf, wie Frauen durch das Fehlen von Daten oder deren Nicht-Anwendung auf der ganzen Welt systematisch benachteiligt werden. Und zwar so, dass es nicht nur ungerecht, sondern auch gefährlich für Leib und Leben ist! Der Standard-Maßstab für so ziemlich alles ist nämlich immer noch männlich. Das fängt an bei Berufskleidung, die Polizistinnen nicht richtig schützt oder Autositze, auf denen Frauen einem viel höheren Verletzungsrisiko ausgesetzt sind, weil sie sich nach männlichen Maßen richten. Das geht weiter bei Dosierungen und Zulassungstests für Medikamente, die nicht an Frauen getestet wurden – oder nur an Frauen, die sich hormonell in ihrem Zyklus dort befinden, wo sie den Männern am ähnlichsten sind. Und das endet bei der Planung von Infrastruktur in Städten, was die Platzierung und Sicherheit von Bushaltestellen, Toiletten oder Kindergärten angeht, die Männer bevorzugt. Von der unbezahlten Care-Arbeit der meisten Frauen und niedrigerem Lohn für die gleiche Arbeit fangen wir gar nicht erst an…

Lest das! Und dann gebt es einem Mann, der es hoffentlich nicht als feministisches Geheule abtut, sondern sich von Fakten die Augen öffnen lässt. Es bleibt einem wirklich die Luft weg!

The Sandman, Neil Gaiman und Dirk Maggs

Ursprünglich eine Comic-Serie, die sich über viele Jahre und fast 3.000 Seiten zum Kult entwickelte, gibt es das Ganze jetzt als ganz, ganz dicht am Original adaptiertes Hörspiel. Es geht um Morpheus, den Herrscher über die Träume, der sich nach jahrzehntelanger Gefangenschaft befreit und eine veränderte Welt vorfindet. Das ist aber nur die grobe Rahmenhandlung, denn eigentlich ist „The Sandman“ eine Geschichte über Geschichten und eine Reise in Neil Gaiman’s Imagination. Mythologie, Literatur, die DC-Comicwelt sowie Geschichte und Gastauftritte von fiktionalen und realen Figuren füllen diese düstere Comic-Reihe, die als Horror-Fantasy angedacht war. Das ist bizarr, teils sehr gewalttätig, explizit und nur etwas für Erwachsene!

Das englische Hörspiel ist großartig umgesetzt mit Neil Gaiman als Erzähler, James McAvoy als Morpheus, Kat Dennings als Death und niemand anderem als Micheal Sheen, dem Engel aus „Good Omens“ als Luzifer.

The Three Musketeers, von Marty Ross, nach Alexandre Dumas

Hat hier irgendwer noch nichts von meiner Musketiere-Leidenschaft mitbekommen? *grins*

Dieses Jahr habe ich nicht nur die Musketiere-Romane von Dumas zu Ende gelesen, sondern auch das hier entdeckt: ein neues Hörspiel, das sich relativ getreu an die Geschehnisse des Originals hält (bei einer Nebenfigur allerdings den Abgang stark verändert) und vor allem den Spirit dieser romantischen Abenteuergeschichte wunderbar rüberbringt. Es gibt treue, tapfere Musketiere, Schwertkämpfe, Hufgetrappel, Liebe, Rache und reichlich Dramatik. Das ist von den Sprechern stimmungsvoll umgesetzt und mit tollem Soundtrack und Geräuschkulisse versehen.

Einen besonderen Dreh hat das Hörspiel allerdings: Es wird aus der Sicht von Milady de Winter erzählt und bekommt so einen ganz neuen Beigeschmack und Grauzonen. Schön für Musketier-Fans, aber auch ein schwungvoller und unterhaltsamer Weg für Neulinge, in diesen alles andere als verstaubten Klassiker einzutauchen!

Exit Racism, Tupoka Ogette

Das Buch und das Hörbuch von Anti-Rassismus-Trainerin Tupoka Ogette ist das Konstruktivste und Anwendbarste, was ich in Sachen Rassismus bisher gelesen habe. Es fußt auf einem Workshop, der zunächst die Ursprünge des Rassismus erklärt und dann zu rassismuskritischem Denken befähigt. Ogette erklärt und entlarvt Rassismus nicht nur, sondern sie gibt Anleitung zum richtigen Umgang mit BIPOC-Menschen und -Themen und vor allem zum kritischen Wahrnehmen des eigenen weißen Privilegs. Vielfach sind es blinde Flecken, die sie aufzeigt – vieles war mir beim Hören einfach nicht bewusst. Auch ich habe, ignorant und privilegiert, in „Happyland“ gelebt, wie sie diesen Zustand des anerzogenen Unwissens nennt, und bei einigen Lektionen musste ich erstmal schlucken.

Auch Monate nach dem Hören greife ich immer wieder auf die Informationen in „Exit Racism“ zurück und kann nur jeder und jedem das Lesen oder Hören empfehlen. Es ist ein Augenöffner und ein Leitfaden, es mit neuem Wissen und neuen Augen besser zu machen!

Troubled Blood von Robert Galbraith

Troubled Blood, Robert Galbraith

Ich habe echt überlegt, ob ich den neuesten Cormoran Strike-Krimi hier überhaupt aufliste. Was J.K. Rowling, die sich hinter dem Pseudonym Robert Galbraith verbirgt, in letzter Zeit an trans-feindlichem Unsinn verzapft, hat das Lesen dieser eigentlich von mir geliebten Reihe um den Londoner Privatdetektiv und seine Partnerin Robin Ellacott zu einer sehr getrübten Erfahrung gemacht. Wie viele furchtbar enttäuschte Harry Potter-Fans auch, trenne ich nach „death of the author“-Manier inzwischen Autorin vom Werk, bzw. von den Figuren, die sie geschaffen hat. Ich sehe das so: Cormoran und Robin kann ich mit dieser Frau nicht allein lassen! Und dieser Fall – ein cold case, der in Strike’s Heimat Cornwall beginnt – ist wirklich gut gemacht und legt diesmal den Fokus auf Strike’s Privatleben. Natürlich nimmt auch die slow burn Romanze zwischen den beiden Detektiven einen (kleinen) Schritt nach vorne.

Ein weiterer old school Krimi mit integrierter Liebesgeschichte, mal wieder mit klasse Akzenten und Stimmen vorgelesen von Schauspieler Robert Glenister. Für mich leider ein guilty pleasure, für dessen Lektüre ich mich in meiner Inkonsequenz vermutlich schämen sollte, die Finger wegen großer Liebe zu den Figuren aber nicht davon lassen kann.

Winternight-Trilogie, Katherine Arden

Diese drei muss ich in einem Atemzug nennen – schließlich habe ich sie in einem Rutsch weggehört (bzw. höre das letzte gerade). Katherine Arden’s magical realism Märchen entführt uns in ein fiktives, aber sehr historisch wirkendes Russland im Mittelalter und ist gleichzeitig eine Neuinterpretation des Volksmärchens von „Väterchen Frost“. Vasya ist ein Mädchen (und später junge Frau), die sich gegen die Konventionen ihrer Zeit stemmt und gleichzeitig noch „den Blick“ besitzt: sie kann die alten Schutzgeister in Haus, Hof und Wald noch sehen, die immer mehr verblassen und vom kirchlichen Glauben verdrängt werden. Vasya wird aufgrund ihrer Rebellion und ihres Andersseins zur Verfolgten. Zur Seite steht ihr dabei Morozko, der Frost-Dämon und Totengeist – eine Beziehung, die alles nur noch schwieriger macht.

Auch wenn die „Winternight“-Trilogie eine Liebesgeschichte beinhaltet, geht es hauptsächlich um eine starke, unkonventionelle Mädchen-/Frauenfigur in einer Welt um Umbruch. Die wundervollen, winterlichen Beschreibungen und die „russische Seele“ des Romans werden verstärkt durch die Sprecherin mit ihrem satten slawischen Akzent. Magisch!

Red White and Royal Blue

Red, White & Royal Blue, Casey McQuiston

Romance ist ja gar nicht meins, aber diese queere Liebesgeschichte hat mich völlig mitgerissen und war das bejahendste, positivste Hörbuch des ganzen Jahres, obwohl ich’s gleich zu Anfang gehört habe. Es hört sich albern und unglaubwürdig an: Der Sohn der US-Präsidentin verliebt sich (widerwillig) in den Spross des britischen Königshauses. Da kracht Progressivität auf Tradition, und einer von beiden muss sich erstmal mit seiner unvermuteten Bisexualität arrangieren. Auch nicht einfach, so eine Liebe geheim zu halten, wenn die ganze Welt zuguckt. Hört sich problematisch an? Ja. Ist aber voller Humor, voller Wärme, Mut und Empowerment, mit einem diversen Cast und Charakteren voller Charme (und mehr Tiefe, als man vermuten sollte). Eine Geschichte, die romantisch ist, aber nicht kitschig, und in düsteren Tagen für Wärme im Herz und Sonne im Gesicht sorgt – und für sprühendes Lachen!

Ramon de Ocampo performed das Hörbuch mit so viel Lebensfreude und Gefühl, dass es viel zu schnell vorbei ist. Wer von euch einen Schubser ans Licht braucht: Hier ist er!

The Vicomte de Braggelonne, Louise de la Valliere, The Man In The Iron Mask von Alexandre Dumas

The Vicomte de Bragelonne / Louise de la Vallière / The Man in the Iron Mask, Alexandre Dumas

Ihr habt jetzt nicht wirklich etwas anderes von mir erwartet, oder? 2019 hatte ich begonnen, die Musketier-Romane von Alexandre Dumas zu lesen, und 2020 waren die letzten drei dran. Die werden oft zusammengefasst unter dem Titel „Ten Years Later“, und deswegen ist es gar nicht geschummelt, dass sie hier gemeinsam auf dem Treppchen stehen. Auf das Kürzeste zusammengefasst, versucht d’Artagnan zunächst, Charles II wieder auf dem Thron zu etablieren und trommelt dazu seine alten Kumpel Athos, Aramis und Porthos wieder zusammen; außerdem bekommen wir es nach dem Tod Richelieus mit neuen Bösewichten zu tun wie Kardinal Mazarin und den Ministern von König Louis. Es folgt ein von Liebesreigen, Intrigen und Herzschmerz am königlichen Hof geprägter Teil, der Athos‘ Sohn (eben jenen Vicomte de Bragelonne) mit gebrochenem Herz zurücklässt. Die Saga kulminiert in Aramis‘ nicht uneigennützigem Versuch, König Louis gegen dessen verborgen gehaltenen Zwillingsbruder auszutauschen, wobei er sich mit seinen ebenfalls gealterten und reichlich ernüchterten Musketier-Brüdern überkreuzt. Und am Schluss… tja. Es kommt nur einer mit dem Leben davon.

Am Ende saß ich weinend über der letzten Seite des Buches und lag mir virtuell mit einer mitlesenden Freundin in den Armen, weil ich mich von einer Geschichte und von Figuren trennen musste, die mich über ein Jahr lang begleitet und sich tief in mein Herz gegraben hatten. Selten hat mich eine Romanreihe (es waren ja eigentlich Fortsetzungsgeschichten in einer Zeitung) so gepackt und nicht mehr losgelassen. Es hat schon seinen Grund, warum die Musketiere zu unsterblichen Legenden wurden.

Na schön. Das waren meine Lese- und Hörhighlights des Jahres 2020. Jetzt seid ihr dran: Was waren eure?

3 Gedanken zu “Meine Top 10 (Hör-)bücher 2020

  1. Miss Booleana 9. Januar 2021 / 15:09

    Hmmm Alexandra Dumas in Hörbuchform … das sollte ich wirklich mal erwägen! Oder auch The Bear and The Nightingale mit slawischem Akzent – klingt wunderbar! Ich lese das gerade in der deutschen Ausgabe, werde aber nicht so ganz warm damit. Vielleicht sollte ich für den Rest über das Hörbuch nachdenken.
    Ich habe dieses Jahr „Der Club Dumas“ (Literaturvorlage zu „Die neuen Pforten“) als Hörbuch gehört und hatte so ohne Kenntnis der Musketiere-Romane so meine liebe Müh und Not mitzuhalten. Aber es ging, da ich die früher mal als Anime(!) gesehen habe. In jedem Fall vielen Dank für die spannende Auswahl aus dem best-Of. Unsichtbare Freunden landet auch auf meiner Liste!

    Mein Best-of hat sich hier versteckt

    • papercuts1 10. Januar 2021 / 19:35

      Hm, jetzt habe ich gerade einen langen Kommentar zu DEINEM Rückblick auf deinem Blog hinterlassen – und den hat das Internet mit einer Fehlermeldung verschluckt. 🙁
      Jedenfalls kann ich dir die Winternight-Trilogie als engl. Hörbuch nur empfehlen! Der slawische Akzent macht eine besondere Atmosphäre.
      Für “Der Club Dumas” ist es wirklich besser, “Die drei Musketiere” zu kennen! Ich habe mich über jedes Easter Egg im Text sehr gefreut. Der Schluss des Buches allerdings – der hat’s mir fast verhagelt. Ein offener Schluss ist ja okay, aber so unklar wie hier, und so abstrus – ich weiß nicht.
      Und jetzt hoffe ich, mein Kommentar taucht doch noch auf deinem Blog auf – sonst eben ein neuer Anlauf!
      Ich wünsche dir ein tolles Lese- uns Hörjahr!

      Ute

      • Miss Booleana 10. Januar 2021 / 19:41

        Alles gut, Ute, ich hab deinen Kommentar gerade in der App angezeigt bekommen, also alles gut. :) und es freut mich, dass du reingeschaut hast

        Ja ich hatte da auch so meine Probleme bei der „Club Dumas“ mit den Figuren, die waren ja schon teilweise ein bisschen klischeehaft femme fatale oder gerissener Gauner. Das Ende fand ich auch nicht ideal, habe mich aber wohl durch das Filmende, das ich schon vorher kannte, eher damit arrangiert.

        Danke – das wünsche ich dir auch! :)

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