„An den Ufern von Stellata“ von Daniela Raimondi

Titel: An den Ufern von Stellata
Autorin: Daniela Raimondi
aus dem Italienischen von: Judith Schwaab
Format: Hörbuch
Sprecherin: Simone Kabst
Verlag: HörbuchHamburg
erschienen: 28.07.2022
Länge: 13:19 Std., ungekürzt

Inhaltsangabe:

Anfang des 19. Jahrhunderts schlägt in einem Dorf in der italienischen Lombardei die Liebe zu: Der melancholische Giacomo Cadio verliert sein Herz an Viollca, die zum Fahrenden Volk gehört. Die wilde, schwarzhaarige Viollca und der ruhige, blauäugige Giacomo gründen eine Familie. Ihr Sohn, der auf dem Friedhof mit den Toten spricht, ist der erste einer Reihe von Nachkommen, deren Geschichte sich an den Ufern von Stellata durch 200 Jahre italienische Geschichte und Familiengeschichte zieht.

Zum Hörbuch:

Daniela Raimondi reiht in ihrem Roman die Gesichter, Schicksale und Eigenarten einer italienischen Familie auf, deren Ursprung nicht gegensätzlicher sein könnte: Es beginnt um 1800 mit der stürmischen Viollca vom „fahrenden Volk“, die durch einen Wetterumbruch mit ihrem Volk im Dorf Stellata hängen bleibt und ausgerechnet in der Handfläche des schwermütigen Giacomo liest, dass er ihr Mann fürs Leben ist.

Von diesen beiden werden sieben Generationen Casadios abstammen, deren Leben wir vor dem Hintergrund der geschichtlichen Ereignisse begleiten. Viollcas und Giacomos Nachkommen erben entweder ihr wildes, dunkles Aussehen und ihr „zweites Gesicht“ – oder die blasse Haut und hellen Augen der Cacasios, gepaart mit deren Hang zur Melancholie. Jedes Mitglied der Familie hat seine Besonderheiten: die einen bauen Schiffe, die nicht schwimmen wollen; andere verlieben sich in die Mathematik oder werden gewitzte, wenn auch unterschätzte, Erfinder. Manche von ihnen haben Vorahnungen, einer plaudert auf dem Friedhof mit den Toten, und bei einer weiteren finden sich immer wieder Bienen im Krankenzimmer. Die Frauen gebären einen Haufen Kinder, müssen sich in angebahnte Ehen ergeben. Eine wandert nach Brasilien aus; eine andere geht im politischen Kampf gegen des Regime zu weit.

Viel ist von Glück und Unglück die Rede. Alle diese Leben stehen unter dem ungünstigen Stern einer Prophezeihung von Viollca: Die Tarot-Karten erzählten ihr einst vom Tod, von einer Schlange, von Wasser, und so zieht sich auch ein roter Faden des Verlustes durch die Generationen, von Leben, Gliedmaßen, Träumen. Aber – und das zeichnet diese Familie aus – die Casadios begegnen allen Herausforderungen mit einer großen Unerschütterlichkeit. Warmherzig und trotzig hält die Familie Casadio allem Stand, auch wenn ab und an ein Mitglied auf der Strecke bleibt, wie das Leben es eben so an sich hat, Prophezeiung oder nicht.

Diese Unerschütterlichkeit spiegelt sich auch in der Sprache Raimondis. Fest zupackender Humor ist eine wichtige Zutat in einem Schreibstil, der robusten Charme und ein fast märchenhaftes „Es war einmal“-Gefühl mit ganz realistischer Zeitgeschichte und alltäglichem Schicksal verbindet. So erzählt, kann man lange und mit Vergnügen lauschen – vor allem, wenn eine wie Simone Kabst mal forsch, mal sanft mit feinen Nuancen in die verschiedenen Casadios schlüpft.

Allerdings gelingt es auch ihr nicht vollends, die große Anzahl der Casadios auseinander zu halten. Da jedes Leben nur ein Abschnitt des epochalen Romans ist, fällt es am Ende schwer, sich an die Familienmitglieder vom Anfang zu erinnern. Die hellen und dunklen Köpfe verschwimmen miteinander. War es Achille, der im Krieg einen Arm verlor? Konnte Neve Besucher vorausahnen? Oder war das Adele? Gerade der Mittelteil des Romans, wo es sich auch etwas zu ziehen beginnt, fließt etwas ineinander.

Auch fällt es angesichts der Zahl der Figuren an Tiefe. Es ist nicht die Zeit, mehr als Zuneigung für den einen oder die andere zu entwickeln. Man hat seine Lieblinge, aber die Schicksale berühren nicht ganz so sehr, wie sie es sollten.

Über das Element des Übernatürlichen lässt sich streiten. War es nötig? Nein. Für mich hat es dem Roman aber einen besonderen Touch gegeben und verdeutlicht, wie Eigenschaften sich manchmal durch Familien ziehen.

Auch wenn die europäische Geschichte mit ihren Kriegen, Umstürzen und Ereignissen den Hintergrund für diese Familiengeschichte bildet, bleibt der historische Aspekt trotzdem eben das: im Hintergrund, eine Kulisse. Wer sich hier eine richtige Geschichtsstunde erhofft, wird enttäuscht sein. Es geht nicht um die historischen Ereignisse und deren Betrachtung, sondern lediglich um den Einfluss, den sie auf die Familie Casadio haben. Das hier ist keine detaillierte, lehrreiche Geschichtsstunde; es ist und bleibt eine Familiensaga.

Zur Sprecherin:

Simone Kabst, Sprecherin des deutschen Hörbuchs, passt von ihrer Stimmfarbe her wunderbar zur forschen Viollca und findet das richtige, gemütlich-erzählerische Tempo für diesen zeitumgreifenden Roman. Es fühlt sich an, als würde man sich zu einer Großmutter setzen, um sich ihre Lebensgeschichte erzählen zu lassen, während sie im Schaukelstuhl schaukelt und man immer gebannter lauscht. Kabst muss in viele Figuren schlüpfen, und sie gibt ihr Bestes, aber ob der großen Anzahl kommt man dennoch schon mal durcheinander. Sie ist aber definitiv eine gute Wahl.

Fazit:

Ein Hörbuch zum gemütlichen Lauschen. Eine ausschweifende, Generationen umfassende Familiengeschichte, wie sie sich wohl überall zugetragen haben könnte – mit dem kleinen übernatürlichen Touch des „fahrenden Volkes“. Kleine und größere Tragödien, Geburten und Todesfälle, Liebe und Leid spielen sich vor 200 Jahren Geschichte ab. Gesichter, Namen und Figuren ziehen vorbei, manche erinnerungswürdiger und liebenswerter als andere. Alle zeugen sie von der Unverwüstlichkeit einer italienischen Familie und von der Tatsache, das das Leben eben immer weiter geht, egal was passiert. Kein Pageturner, und zu viele Figuren, um echte Nähe aufzubauen, aber unterhaltsam verbrachte Hörstunden.

Bewertung:

Bewertung: 3.5 von 5.

Danke an HörbuchHamburg für das Rezensionsexemplar!

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