Titel: Die Romanfabrik von Paris
Autor: Dirk Husemann
Format: eBook
Verlag: Lübbe
erschienen: 30.10.2020
Seitenanzahl der Printausgabe: 480 Seiten
Inhaltsangabe:
Paris, 1850. Anna Dorn, eine in finanziellen und gesellschaftlichen Ruin geratene deutsche Gräfin, verdient sich ihr Geld in Paris als Hauslehrerin. Ein weiteres Anliegen von ihr: Die weitere Veröffentlichung von Alexandre Dumas‘ erfolgreichen Fortsetzungsromanen zu verhindern – Annas Meinung nach nichts als Schund. Der berühmte Autor Dumas hat aber gerade ganz andere Probleme: Er steckt bis zum Hals in Schulden und macht sich auf die Jagd nach einem mysteriösen Amulett mit dessen Verkauf er seine Geldsorgen erstmal los wäre. Hinter dem Amulett ist außer ihm noch ein Magnetiseur und Scharlatan her, der nichts Gutes im Schilde führt, und mit dem auch Anna noch eine Rechnung offen hat.
Zum Buch:
Ihr kennt mich: Wenn ein Buch auch nur irgendwie mit Alexandre Dumas, dem Vater meiner geliebten Musketiere, zu tun hat, werde ich hellhörig. Als eine Twitter-Freundin dieses Buch für einen Buddy-Read vorschlug, war ich sofort dabei. Ich meine: Dumas, der Autor, diesmal als Romanfigur vor dem biografischem Hintergrund seiner erfolgreichsten Jahre, als Teil einer Abenteuergeschichte – wie hätte ich da nein sagen können? Sacrebleu! Ich hing am Haken.
Und es hat sich gelohnt.
Ein Weilchen habe ich beim Lesen gebraucht, um das Buch zu mögen. Das lag vor allem an Anna, der Hauptfigur. Sie ist nicht nur über lange Strecken eine Dumas-Verächterin (Mordioux – wie kann sie nur?!), sondern macht es einem mit ihrer anstrengenden, überzogenen Art auch grundsätzlich schwer. Für so eine gebildete, kluge und selbstbewusste Frau handelt und denkt sie erstaunlich unlogisch und ist schlicht und ergreifend furchtbar zickig. Dass Husemann sich dafür entschieden hat, eine behinderte Figur ins Zentrum zu stellen (Anna benötigt einen Rollstuhl), ist erstmal ein ehrenhafter Versuch der Repräsentation. Aber auch ihre Behinderung wird für meinen Geschmack zu sehr überbetont. (Hier würde mich die Meinung von rollstuhlfahrenden Leser*innen allerdings mal interessieren; ich sehe das natürlich aus meiner Fußgänger-Sicht und liege wohlmöglich falsch.)
Dazu kommt, dass Dumas von Husemann (von Haus aus Historiker und Wissenschaftsjournalist) in einem nicht besonders rosigen Licht dargestellt wird, als pompöser Lebemann und Tunichtgut, als skandalöser, leichtfertiger Frauenheld, der eine ganze „Fabrik“ an Schreibern ausnutzt, um unter seinem Namen Romane zu veröffentlichen, die er gar nicht selbst geschrieben hat. Da geht mir als Dumas-Fan natürlich erstmal der Hut hoch!
Zum Glück rückt Husemann dieses Bild im Verlauf des Buches gerade. Und er hat ja recht: Dumas war alles andere als ein Heiliger! Mit Geld konnte er nicht umgehen, und seine Frauengeschichten sind legendär. Aber er hatte auch viele gute Seiten und vor allem das Herz am rechten Fleck, und je mehr Anna im Roman ihre Meinung über ihn ändert, umso positiver stellt Husemann ihn auch dar. Und erklärt – denn die „Romanfabrik“ gab es tatsächlich! Dumas bezahlte wirklich eine ganze Gruppe von Schreibern und Co-Autoren, die halfen, seine Ideen zu Papier zu bringen. Anders ging das auch gar nicht, denn obwohl der Autor wie am Fließband und oft die Nächte durch schrieb, verlangten die Magazine, in denen seine Geschichten zunächst erschienen, jede Woche nach neuen Kapiteln. Der Anteil dieser Co-Autoren an Dumas‘ Werk wird bis heute diskutiert (auch wenn man sich inzwischen sicher ist, dass Dumas der hauptsächliche Ruhm gebührt).
Ein bisschen enttäuscht war ich von Husemanns Schreibstil. Schnell war klar, dass er mit der „Romanfabrik“ eine Abenteuergeschichte à la Dumas erzählen wollte, sowohl in Inhalt als auch Stil. Die dramatische Überschwänglichkeit hat er auch gut hinbekommen, ebenso wie eine spannende Geschichte voller Charme und Couleur, so dass man immer mehr durch die Seiten fliegt, wie eben bei einem Fortsetzungsroman. Aber die kurzen Sätze und eher simple Sprache treffen nicht die detailreiche, gewitzte Melodik von Dumas, dessen Geschichten trotz ihres damaligen „Groschenroman“-Charakters schon eine gewisse Eleganz hatten. Da kommt Husemann nicht im entferntesten dran.
Spaß macht das Buch trotzdem. Das liegt am historischen Hintergrund und an den tollen Schauplätzen (Paris, London und Russland), in die Husemann mal eben die erste Weltausstellung 1851 einbaut sowie an der abenteuerlichen Mystery-Geschichte um die Amulette und den gruselig angehauchten Magnetiseur Lemaitre. Zunehmend reißt einen auch Dumas‘ Schwung mit – uns gemeinsam mit der anfangs so nervigen Anna, die ebenfalls an Sympathie gewinnt, je weiter die Geschichte fortschreitet. Die ganze Story nimmt immer mehr Fahrt auf, und die kurzen Kapitel halten einen bei der Stange.
Besondere Freude bereitet der Roman natürlich Dumas-Fans und Kennern wie mir. Husemann baut Elemente aus Dumas‘ Romanen in die Geschichte ein, erwähnt an passenden Stellen die berühmten Figuren, und natürlich fließen auch reichlich biographische Tatsachen in „Die Romanfabrik von Paris“ mit ein – von Dumas Geldnöten nach dem Bau von Chateau Monte Christo über seine zahlreichen Affären und daraus vermutlich resultierenden illegitimen Sprösslingen bis hin zu einem weniger schönen, aber vielleicht umso wichtigeren Thema: rassistische Anfeindungen, denen sich der Autor mit einer haitianischen Sklavin als Großmutter immer wieder ausgesetzt sah. (Dass im Roman das N-Wort verwendet und somit reproduziert wird, halte ich übrigens für schwierig. Husemann erklärt das im Anhang, hätte das aber schon zu Beginn machen sollen oder „N****“ verwenden und mit einer Fußnote versehen sollen.)
Wirklicher Ernst ist in diesem Roman aber eine Randerscheinung. Insgesamt ist „Die Romanfabrik von Paris“ ein vergnüglicher, flugs lesbarer Spaß für Freunde von unterhaltsamen historischen Romanen und ganz besonders für Dumas-Fans mit Vorwissen. Ohne die nervende Art der Hauptfigur und mit etwas mehr sprachlicher Eloquenz wäre das ein Volltreffer gewesen. So gibt’s einen Stern Abzug.
Bewertung:
PS: Danke an meine Buddy Reader, Melanie und Simone, für unsere Twitter-Diskussionen!