Titel: Das Leben ist ein Fest
Autorin: Claire Berest
Übersetzung: Christiane Landgrebe
Verlag: HörbuchHamburg
erschienen: 30.05.2021
Länge: 05:29 Std., ungekürzt
Das Hörbuch erhaltet ihr beim (Hörbuch)händler eures Vertrauens, bei HörbuchHamburg oder als ungekürzten Download bei audible.de.
Zum Hörbuch:
Während des Lockdowns hatte ich ja festgestellt, dass ich das Besuchen von Museen und Ausstellungen schrecklich vermisse, und das hat zu einer Hörbuch-Phase über Künstler:innen geführt. Nach meinem Geschwärme über Michelangelo und meiner schockierten Entbranntheit für Artemisia Gentileschi war dann eine bekannte mexikanische Surrealistin dran: Frida Kahlo. Kam mir gerade recht, dass Claire Berest einen neuen biografischen Roman über die eindrucksvolle Malerin geschrieben hatte.
Dieser Roman ist selbst so etwas wie ein Kunstwerk: eigenwillig, sprachlich ebenso kunstvoll wie schonungslos, voller Wucht und herausfordernd. Jedes Kapitel trägt eine Farbe als Überschrift: karmesinrot, sonnengelb… Wir springen durch einen Malkasten, von Szene zu Szene, von Lebensstation zu Lebensstation. Eine chronologische Collage wird uns vor die Brust geknallt, denn Claire Berest fackelt ebenso wenig wie die Künstlerin, die wir kennenlernen: Frida Kahlo war keine Leisetreterin, weder in ihren Bildern, noch in ihren Worten oder Taten. Jedenfalls ist dies das Bild, das „Das Leben ist ein Fest“ uns von ihr vermittelt.
Das Leben selbst zwang die von 1907 bis 1954 lebende Mexikanerin immer wieder in die Bewegungslosigkeit, nachdem ein schrecklicher Unfall die junge Frau mit lebenslangen Bewegungseinschränkungen, chronischen Schmerzen und immer wieder nötiger Bettruhe im Gipskorsett zurückließ. Die Wut über ihren Zustand, die Frustration und das Hadern mit ihrem geschädigten, mit Narben versehenen Körper zieht sich durch Fridas Leben, durch diese Geschichte und – so lernen wir – auch immer wieder durch ihre Kunst.
Dabei ist Frida eigentlich (und trotz ihres körperlichen Zustands) ein Feuerwerk, und manchmal sogar ein Pulverfass. Eine Lebenswucht und Lebenswut springt uns aus Berests Worten entgegen, aus Fridas Schimpftiraden und aus der ungezähmten Bildersprache des Romans. Frida feiert und trinkt und malt und reist und liebt, dass die Fetzen fliegen, und keiner scheint ihr die Stirn bieten zu können. Keiner bis auf Diego.
Diego Rivera, 20 Jahre älter als Frida, als Maler in Sachen Bekanntheit und Strahlkraft Frida ebenfalls voraus, prägte, wenn man nach diesem Roman geht, ihr Leben genauso wie ihr Unfall und ihre Malerei das taten. Die Wellen schlagen hoch zwischen den beiden, und die Leidenschaft brennt in beide Richtungen: Liebe und Hass, Ergebenheit und Freiheitsdrang geben sich die Hand. Diegos ständige Affären, sein größerer Ruhm und seine Dominanz über die nicht gerade scheue Frida machen ihre Hin-und-her-Beziehung zu einer einzigen Achterbahnfahrt. So sehr, dass der Roman manchmal mehr von Diego Rivera zu handeln scheint als von Frida Kahlo. Und hat dieser Mann wirklich einen derartigen Raum im Leben der Malerin eingenommen, sie so stark geprägt?
Man möchte Frida selbst fragen, wenn man das liest bzw. hört. Denn obwohl der Roman in der dritten Person geschrieben ist, ist die Perspektive sehr limitiert, sehr aus Fridas leidenschaftlicher Denke erzählt, komplett von ihrem Charakter eingefärbt. Wie sehr konnte Claire Berest sich in Fridas Kopf setzen? Woher wusste sie, ob diese Weltsicht, die sie uns gibt, wirklich Fridas war? Ja, die französische Autorin beschäftigte sich vor dem Verfassen des Romans jahrelang mit der Malerin und wusste mit Sicherheit, wovon sie schrieb. Aber man spürt, dass der Blickwinkel, für den Berest sich entschied, ein sehr selektiver ist, eine Interpretation dessen, was Berest recherchiert hat.
Wenn es im Roman um die berühmtesten Bilder von Frida Kahlo geht – „Die zwei Fridas“ etwa, oder „Die gebrochene Säule“, wird der Roman extrem lehrreich. Surrealismus ist nicht jedermanns Sache, und manch einer wird ohne Hintergrund etwas ratlos vor den vielen Selbstporträts stehen, die ungefähr die Hälfte von Frida Kahlos Gesamtwerk ausmachen. Da ist es sehr hilfreich, mit diesem biografischen Roman die Geschichte der Malerin zu kennen zu lernen und die in den Bildern versinnbildlicht festgehaltenen Ereignisse in ihrem Leben geschildert zu bekommen: Den Unfall, das Ans-Bett-Gefesseltsein, die Fehlgeburt, ihre Reisen in die USA, ihr Weg zum Erfolg. Immer wieder Fridas Auseinandersetzung mit ihrer mexikanischen, folkloristisch geprägten Identität auf der einen und ihrer weltoffenen, modernen, unabhängigen Identität auf der anderen Seite. Und der ständige Krieg, den sie mit ihrem versehrten Körper führt, bis die Spätfolgen sie schließlich das Leben kosten.
Für mich wurden Kahlos Kunstwerke durch den Roman überhaupt erst zugänglich und schufen ein Interesse und ein emotionales Verständnis für ihre Werke, das ich vor dem Lesen nicht hatte. Frida Kahlo war mir natürlich ein Begriff, und ich hatte ihre Bilder schon mal irgendwo gesehen – jetzt habe ich den Hintergrund und den Bezug dazu.
Was die zuvor angesprochene Interpretation von Frida Kahlos Blick- und Denkweise angeht, auf ihr Verständnis von sich selbst, ihrer Kunst, ihrer Behinderung und ihrer Beziehung zu Diego – da ist der Roman für mich eher eine vorgeschlagene Variante von Frida Kahlo. Die Interpretation von Claire Berest eben. Hat Frida wirklich so mit ihrem Körper gehadert? War sie wirklich so emotional abhängig von Diego? Sind ihre wütenden Tiraden authentisch, oder ihr von Claire Berest auf den Leib geschrieben? Sehr viel bewegen wir uns in der Persönlichkeit der Malerin, und wie sie von der Autorin verstanden wurde. Diese Interpretation werde ich nehmen und mich noch auf die Suche nach anderen und zusätzlichen Perspektiven auf diese Künstlerin begeben.
Zur Sprecherin:
Anne Ratte-Polle ist eine kraftvolle Sprecherin mit einer recht tiefen, etwas rauchigen Stimme, bei der ich eine Frau jenseits der vierzig im Kopf hatte. Das passt zu Fridas Alter zu Beginn vielleicht nicht so, definitiv aber zu Fridas Charakter und zum Text! Ratte-Polle liest mit Power, mit Entrüstung, mit Begeisterung, mit Wut und Leidenschaft. Ich habe keine Ahnung, wie Frida Kahlo sich in Wirklichkeit angehört hat, aber nach ein bisschen Einhören in die Stimmfarbe hat das für mich gepasst.
Fazit:
Claire Berest hat mit „Das Leben ist ein Fest“ ein Eindruck hinterlassendes, kraftvolles, leidenschaftliches Porträt von Frida Kahlo gemalt, und sprachlich ist ihr das kunstvoll gelungen. Der biografische Roman ist toll für einen Einstieg in das Werk der Malerin, verknüpft und erläutert durch die Anbindung an ihr Leben. Er ist emotional, laut, ohne Zurückhaltung. Für ein objektiveres und kompletteres Bild von Frida Kahlo, so habe ich das Gefühl, muss ich mich aber noch weiter und mit anderen Quellen auseinandersetzen. Einen offenbar so kontrastreichen und widersprüchlichen Menschen erfasst man eben nicht mit einem Blick.
Bewertung:
Hörbuch:
Sprecherin:
Danke an netgalley und HörbuchHamburg für das Rezensionsexemplar!