
Titel: Und auf Erden Stille, Staffel 2
Buch + Regie: Balthasar von Weymarn
Format: Hörspiel
Sprecher:innen: Vera Teltz, Sarah Alles, Oliver Stritzel, Detlef Bierstedt, Uve Teschner u.v.m.
Verlag: Folgenreich
veröffentlicht: 25.3.2022
Spieldauer: 4 CD’s, ca. 275 Minuten
Es ist schon etwas bekümmernd, dass ich Staffel 1 dieses dystopischen Hörspiels 2020, zu Beginn der Pandemie gehört habe, in der Erwartung, dass sich das Endzeitgefühl in unserer realen Welt bis zur 2. Staffel in Luft aufgelöst haben würde. Und jetzt ist 2022, und die 2. Staffel ist raus, und wir sitzen immer noch in einer Pandemie? Nun ja.
Der Freude über die 2. Staffel tut das keinen Abbruch! Vielleicht sogar im Gegenteil. Nach zwei beängstigenden, anstrengenden Jahren mit viel Verzicht kann man die Ermüdung und den Frust der Figuren in „Und auf Erden Stille“ zumindest ansatzweise nachvollziehen.
Rhiannon, die junge Hauptfigur, ist jedenfalls immer noch unterwegs, um noch mehr über die Ursachen der Hyperakusis und vor allem des Adams-Virus herauszufinden und hoffentlich mit den Erkenntnissen – und am besten einem Gegenmittel – zu ihrer Kolonie, Novis, zurückzukehren.
Am Anfang muss ich mich erstmal zurecht finden und bin mir nicht ganz sicher, ob ich etwas verpasst oder vergessen habe, denn Rhiannon ist mit einer Figur unterwegs, die bisher nicht eingeführt wurde, und sie befindet sich – wo? Das ist ein bisschen wie kaltes Wasser, zumal die Erzählerpassagen in der „Du“-Form erstmal nicht besonders aufschlussreich sind. Aber das war ja auch schon in der 1. Staffel ein Prinzip, und es sorgt dafür, dass man genau zuhört und aufpasst, bis sich die Puzzlestücke orientierend zusammensetzen. (Ich gebe allerdings zu, dass ich die kurzen Episoden-Beschreibungen im Leaflet der CD-Box sehr hilfreich fand und fast immer hinzugezogen habe).
Noch mehr als in Staffel 1 wechselt die Erzählperspektive immer mal von Rhiannon weg zu anderen Schauplätzen. Wir gehen zurück in die Vergangenheit, wo sich die Puzzleteile um den Ausbruch der Epidemie immer mehr zusammensetzen. Und im Jetzt begleiten wir die Wallianer bei ihrem nicht gerade herzlichen Treiben. Puh, da sind schon ein paar brutale Szenen dabei, und der body count im Verlaufe der Geschichte ist nicht zu verachten. Auch Rhiannon muss wieder durch herbe Verluste durch, die teils sehr ans Herz gehen. Dies ist ein Hörspiel für Erwachsene, ganz deutlich.
Größtenteils ist auch Staffel 2 wieder spannend, macht neugierig, legt nach und nach Erkenntnisse frei und steuert auf einen Höhepunkt zu, den wir die ganze Zeit erwarten: Die Konfrontation mit den Wallianern. Bis dahin macht vor allem Rhiannon eine deutliche Entwicklung durch. Von Anfang an nicht auf den Kopf gefallen und tough, wird sie härter, gnadenloser, auch müder. Zweifel kommen auf, und die Versuchung, sich einfach auszuklinken aus der Suche nach der Wahrheit, aus dem Kampf, aus einer möglichen Lösung für die Zukunft, ist groß. Die Frage stellt sich, ob sie sich nicht einfach besser nur um sich kümmern soll. Und es ist eine berechtigte Frage, die traurigerweise wieder viel mit unserer Realität zu tun hat. Die eigene Haut retten oder ans große Ganze denken? Auf verlorenem Posten kämpfen oder sich um sich selbst kümmern? Alles nicht nur im Hörspiel relevant, und diese Fragen muss Rhiannon für sich beantworten – insofern ihr die immer wieder auftauchenden plötzlichen Gefahren Zeit zum Nachdenken lassen.
Der Showdown ist dann zunächst breiter angelegt, reduziert sich aber immer mehr auf ein Auge-um-Auge-Szenario, das wirklich gnadenlos ist. Spannend gemacht, und auch clever, denn das Aufeinanderprallen zweier großer Gruppen ist in Hörspielen ja immer ein Problem, sowohl akustisch als auch von der Orientierung des Hörers her, und Autor Balthasar von Weymarn schreibt sich geschickt aus dieser kniffeligen Ecke, indem er den Blick enger zieht, auf Rhiannon.
Der Schluss ist dann überraschend. Und ich bin mir auch Tage nach dem Hören noch nicht sicher, ob ich damit zufrieden bin. Oder ob das jetzt wirklich das Ende der Geschichte ist. Manche werden das Ende clever finden, andere – so wie ich – antiklimaktisch. Und ich weiß nicht, ob das wirklich zu Rhiannon’s Charakter passt. Obwohl. Zu der Rhiannon, die sie am Ende von Staffel 2 ist, vielleicht? Erwartet hatte ich jedenfalls etwas anderes, und da sind auch noch Fragen, die offen geblieben sind. Vielleicht geht es ja doch noch weiter? Folgenreich bleibt auf Rückfrage da eindeutig zweideutig.
Vom Sounddesign her steht Staffel 2 der ersten Staffel in nichts nach. Mit Kopfhörern taucht einen der 3D-Sound mitten hinein in die Szenerie. Hintergrundgeräusche klingen authentisch. Draußen hört sich nach draußen an; drinnen nach drinnen. Alle Effekte – von spritzendem Wasser bis hin zu aufgeschlitzten Kehlen – klingen echt. Der futuristisch-ominöse Score ist inzwischen vertraut und bleibt ein passender Begleiter, der die Episoden (vor allem, wenn man das Hörspiel streamt und nicht als CDs hört) aufteilt und strukturiert.
Bei den Sprecher:innen macht Sarah Alles weiter einen überzeugenden Job als Rhiannon, und Vera Teltz klingt als Erzählerin wie ihr älteres, weiseres Ich. Detlef Bierstedt als Krzysztof gefällt mir viel besser als in Staffel 1! Die besten Leistungen liefern für mich Uve Teschner als Martinus und Oliver Stritzel als Rhiannon’s Vater, Jerome Beaucarte, ab. Besonders letzterer bringt Emotion in die Szenen mit seiner Tochter. Mit den zahlreichen Frauen- und Mädchenstimmen der Wallianer hatte ich dagegen manchmal Differenzierungsprobleme. Da musste ich genau auf den Duktus hören, um nicht schon mal Namen im Kopf zu vertauschen. Ist aber auch nicht leicht bei so einem großen Cast.
Fazit:
Heiß erwartet, macht Staffel 2 von „Und auf Erden Stille“ auf dem hohen qualitativen und unterhaltenden Level weiter, wo Staffel 1 aufgehört hat. Es wird ein bisschen komplexer, mehr Figuren kommen hinzu, und der Autor schreibt konsequent auf einen spannenden Showdown hin. Das Sounddesign von Jochim-C. Redeker ist tadellos. Der Schluss ist dann allerdings nicht das, was ich erwartet hatte, und ob ich jetzt einfach nur überrascht bin oder ein bisschen enttäuscht, weiß ich noch nicht so genau. Außerdem sind noch Fragen offen geblieben, und auch wenn es dazu noch keine Informationen gibt: Ich wäre nicht böse, wenn Folgenreich die Reihe auf irgendeine Art und Weise noch fortsetzt. Mein Gefühl sagt mir, dass die Geschichte noch nicht ganz auserzählt ist.
Bewertung:
Danke an Folgenreich für das Rezensionsexemplar!