„Vom Zauber einer verwehenden Sprache“ – Deutsche Gedichte und Balladen

Titel: Vom Zauber einer verwehenden Sprache: Deutsche Gedichte und Balladen
Autor:innen: Heinrich Heine, Friedrich Schiller, Theodor Fontane, Rainer Maria Rilke, Johann Wolfgang von Goethe u.v.m.
Format: Hörbuch-CD, Lesung mit Musik, Live-Mitschnitt
Sprecher: Ulrich Tukur, Christian Redel
Klavier: Olena Kushpler
Verlag: Random House Audio
erschienen: 08.03.2022
Spieldauer: 1 Std. 17 Min.

Lyrik ist langweilig – von wegen! Das ist so ein Klischee, das unter Umständen auch damit zu tun hat, dass wir alle im Deutschunterricht zu einer Zeit, in der uns die Musikcharts und die coolsten neuen Filme und – heutzutage – die witzigsten memes – verständlicherweise mehr interessiert haben als hundert Jahre alte Reime von toten deutschen Dichtern. Die mussten wir dann aber – von Lehrern kurz vor dem Burn-Out mit mündlichen Noten bedroht – trotzdem auswendig lernen und mit unserer ganzen, 16jährigen Lebenserfahrung interpretieren. Das konnte nur in einem Beziehungsfail zwischen uns und der Lyrik enden.

Als Erwachsene:r findet man dann manchmal den Weg zurück. Und dafür kann eine aus der Erinnerung heraufgewehte Verszeile reichen. „Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand“: Diese Zeile aus Theodor Fontanes Gedicht „Die Brücke am Tay“ ist mir seit Schulzeiten im Gedächtnis geblieben. Und sie ist nur einer von vielen, die Ulrich Tukur und Christian Bredl in diesem Live-Mitschnitt mit Theaterbretterdramatik ins Publikum donnern, begleitet von Pianistin Olena Kushpler.

Balladen sind düstere, dramatische Geschichten in Reimform, oft von Mord und Totschlag, manchmal von geistreichem Humor geprägt. Sie sind schicksalshaft und actionreich, ein komprimierter Thriller, eine Mahnung, eine Moritat oder schalkreicher Nonsens. Im Hintergrund kann man sich ein flackerndes Lagerfeuer vorstellen und Geister, die umherhuschen. Meist schrauben sich die Balladen zu einer Klimax empor, die mit Knalleffekt Vollendung findet.

Es geht um Rache, um Schicksal, um Liebe, Eifersucht und Tod. Wer das langweilig findet? Sorry, falscher Film.

Der hier ist klasse gemacht: Ein Bühnenprogramm, furios absolviert, stimmungsvoll musikalisch begleitet, bei dem solche Klassiker wie „Füße im Feuer“ von Conrad Ferdinand Meyer, „Belsazar“ von Heinrich Heine und natürlich auch „Der Erlkönig“ von Goethe das Publikum hinter dem Ofen hervorlocken, aber auch Humorvolles von Ringelnatz und Erich Kästner Lacher entlocken.

Es hilft bei einigen Balladen, sich ein bisschen Hintergrund zu holen (Wikipedia lässt grüßen!), um die Gedichte besser zu verstehen. Und da ist es gut, dass das CD-Leaflet eine komplette Auflistung der vorgetragenen Balladen (und Musikstücke) enthält. Anders als das Publikum bei der Aufnahme kann man pausieren, nachschlagen, nochmal hören, wenn es zu schnell ging. Und weil es so schön war.

Man kann aber auch einfach eintauchen und sich von der Performance der beiden Schauspieler abholen lassen. Die machen alles richtig: Es wird mal unheilvoll wispernd, mal polternd laut, und die Kunst der dramatischen Pause wird hier effektvoll zelebriert. Ulrich Tukur kommt mir dabei noch virtuoser vor als Christian Redl, aber beide machen einen großartigen Job. Olena Kushpler untermalt die Stimmung mit kurzen Klavierstücken wie Robert Schumanns „Mondnacht“, Franz Schuberts „Erlkönig“ oder auch mal einem Tango oder einer Opern-Ouvertüre und sorgt damit gleichzeitig für Atempausen.

Was ich mir noch gewünscht hätte: Dass die Schauspieler kurz den Titel jedes Gedichts ansagen, bevor sie loslegen. Warum das weggelassen wurde, ist mir nicht klar.

Fazit:

Eine gelungene und kraftvolle Liebeserklärung an die Ballade, leidenschaftlich vorgetragen von Ulrich Tukur und Christian Redl, und passend musikalisch begleitet. Aus vermeintlich angestaubter Lyrik werden dramatische Krimis, Rachegeschichten und Schicksalsbegegnungen. Dieser Live-Mitschnitt ist der beste Beweis dafür, dass Lyrik erst dann ihre volle Power entfaltet, wenn sie laut vorgetragen wird, und zwar mit ganz viel Wucht und dunkler Liebe. Einziger Wehmutstropfen: Man wünscht sich, dazu die Gesichter, Gesten und Körpersprache der Schauspieler zu sehen. Die lassen sich nicht auf Audio-CD brennen. Schade, dass ich nicht live dabei war.

Bewertung:

Bewertung: 4.5 von 5.

Danke an Random House Audio für das Rezensionsexemplar!

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