Titel: ‚Unerwartete Begegnung. Kriminalerzählungen‘
Autor: Heinrich Peuckmann
Sprache: Deutsch
Verlag: Brockmeyer
Format: Taschenbuch
Länge: 140 Seiten
Inhaltsangabe (Klappentext):
Ein Mörder glaubt, alle Spuren seiner Tat verwischt zu haben, bis es plötzlich neue Ermittlungsmethoden gibt. Ein Polizist wird bei der Beförderung übergangen und sorgt selber für Ausgleich. Ein Liebespärchen trifft sich regelmäßig heimlich im Hotel, bis plötzlich etwas Unerwartetes geschieht. Heinrich Peuckmanns Kriminalgeschichten sind spannende Erzählungen, die immer gut sind für überraschende Wendungen. Die unterschiedlichen Themen verbindet dabei eines, nämlich das Interesse an Menschen, die gefangen sind in ihrer Besessenheit, ihrer kriminellen Energie und oft genug in ihrem Leiden an der Welt.
Es ist eine Weile her, dass ich Kurzgeschichten gelesen habe. Diese Erzählform ist etwas aus der Mode geraten – zu Unrecht, wie mir klar wird. Gut gemacht, sind Kurzgeschichten kleine aber feine Häppchen, die mehr Gedanken nach sich ziehen als die Kürze der Geschichten erwarten lässt.
Wie in diesem Genre üblich, schickt Peuckmann uns abrupt und ohne Vorwissen in seine Kriminalerzählungen. Wir müssen uns aus den Informationen im Text zusammenreimen, wo wir sind, was geschehen ist und wer erzählt. Ersteres ist zügig klar, siedelt Peuckmann seine Erzählungen doch unverkennbar in seiner Heimat, dem Ruhrgebiet, an. Mini-Regionalkrimis also mit dem zugehörigen Lokalkolorit.
Was geschehen ist, ist in der Regel – aber nicht immer – ein Mord. Hier geht es, wie zu erwarten, nicht um irgendwelche blutigen Ritualmorde oder Serienkiller. Das ist kein Thriller, sondern das sind Krimis. Es geht um ganz klassischen Mord, schlicht und einfach. Teilweise kann man erstmal miträtseln, wer der Täter ist, aber auch nur teilweise. Oft ist entweder von vornherein oder aber ziemlich zügig klar, wer da ein Leben auf dem Gewissen hat. Wenn man auf das ‚Whodunit‘-Element Wert legt, ist UNERWARTETE BEGEGNUNG nicht sonderlich überzeugend. Sehr schnell und sehr offensichtlich klären sich die meisten Fälle auf. Die Täter selbst oder deren Angehörige scheinen oft sehr naiv in ihrem Vorgehen oder aber geradezu erpicht darauf, endlich zu gestehen. Spannung kommt da nicht groß auf.
Der Schwerpunkt der Erzählungen liegt allerdings auch woanders. Peuckmann geht es ganz eindeutig und vor allem um die Beweggründe der Täter. Was macht einen Menschen zum Mörder? Hier ist es nicht irgendein abstruser Wahnsinn, sondern es sind sehr reale, menschliche Gründe: Wut, Rache, Kontrollverlust. Demütigung, Eifersucht oder ein Moment der moralischen Schwäche.
Peuckmann liegt das Motiv am Herzen, und dabei klingt in mehr als einem Fall ein gewisses Verständnis für den Mörder an – auch beim Leser. Das bedeutet nicht, das man die Tat gutheißt. Peuckmann tut das nicht, und auch sein Kommissar Anselm Becker nicht. Aber Anselm begegnet uns in mehreren der Erzählungen, und man ist geneigt, in stillschweigendem Einverständnis mit ihm nicht weiter an einigen ‚unaufgeklärten‘ Fällen zu rühren. Selbt wenn Mord an sich unverzeihbar ist – warum die Täter am Ende einer fatalen Kette von Ereignissen zu diesem Mittel griffen, können wir, ehrlich gesagt, häufig verstehen.
Das gilt nicht für alle Fälle. Sogenannte ’niedere Beweggründe‘ gibt es auch. Aber selbst da präsentiert uns Peuckmann Mörder, für die wir dennoch Mitleid empfinden können. Mehr als einmal denkt man, dass es doch nur ein Fehler war, ein Moment des Kontrollverlusts, und wie teuer die Täter dafür bezahlen müssen. Verkehrte Welt: Man fühlt mehr mit dem Täter als mit dem Opfer.
Vom Schreibstil her sind sämtliche Erzählungen sehr schnörkellos, direkt und von einem ziemlich ’nackten‘ Stil. Ausschmückungen, Metaphern, tiefere Ebenen sind nicht Peuckmanns Ding in diesem Band. Daher wirken die Kurzgeschichten sprachlich recht einfach gestrickt. Etwas mehr Finesse, ein paar mehr Adjektive, ein bisschen mehr Bildhaftigkeit hätte ich mir doch gewünscht.
Etwas schade ist, dass die interessanteste und wiederkehrende Figur des Anselm Becker unbefriedigend ausgeschmückt bleibt. Natürlich, in einer Kurzgeschichte gibt es dafür nicht viel Raum, aber mehr als eine bloße Kontur sollte doch möglich sein. Wir kriegen nämlich eine Ahnung, dass Anselm eine spannende Figur ist. Dass er kriminalistisch ein ‚alter Hase‘ ist, mit einer intakten, aber nicht rigiden Moral. Schön wäre es da, ein bisschen mehr Einblick in das Leben, das Aussehen, das Umfeld und die Gefühle des Ermittlers zu bekommen. Sowas geht auch, wenn man sich kurz fasst. Da fehlt die Prägnanz und Effizienz in der Beschreibung. Oder aber sie ist gar nicht gewollt: Ob Peuckmann seinen Kommissar bewusst detaillos läßt, um das Augenmerk auf die Täter zu lenken, sei dahingestellt.
Wäre mal interessant, deswegen in Peuckmanns Krimireihe um den Dortmunder Kommissar reinzulesen. Vielleicht geht er da anders mit seiner Figur vor.
Fazit:
Eine Sammlung kurzer Kriminalgeschichten aus dem Ruhrpott. Klar und ohne Rüschen. Vom Stil her eher nüchtern, vom Spannungsfaktor niedrig, und zum Mitknobeln nicht befriedigend. Im Zentrum stehen allerdings die Täter und ihre Beweggründe. Da machen die kleinen Geschichten tatsächlich nachdenklich: Für viele der Mörder kommt beim Leser Verständnis auf, und die eigenen moralischen Vorstellungen schlagen Purzelbäume.
Bewertung: 6/10
Danke an den Brockmeyer Verlag für das Rezensionsexemplar!