Titel: Dschungel
Autor: Friedeman Karig
Format: Hörbuch, mp3
Verlag: Hörbuch Hamburg
erschienen: 02.05.2019
Länge: 629 Minuten, ungekürzt
Spurensuche in Kambodscha
Kambodscha. Dorthin begibt sich der namenlose Erzähler, auf die Suche nach seinem Freund Felix. Der ist spurlos verschwunden, antwortet nicht auf SMS oder Anrufe, und selbst, wenn zuhause immer noch die meisten glauben, dass der abenteuerlustige Felix schon wieder auftauchen wird, lässt es seinem Kumpel keine Ruhe. Der Trip wird zu einer Reise: zu Felix, in die Vergangenheit, zu den Anfängen und dem – möglichen? – Ende einer Freundschaft.
Das Hörbuch, überraschend jung vorgelesen von Sprecher Fabian Busch, habe ich schon vor ein paar Wochen ausgehört und war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. In so einem Fall ist es immer interessant, das Ganze sacken zu lassen und zu schauen, was nach einer Weile noch davon im Gedächtnis haften bleibt. Dabei kristallisieren sich die Kernpunkte heraus.
Geblieben sind gegensätzliche Eindrücke:
Kambodscha: ein echter Eindruck?
Im Positiven ist Karigs Roman eine interessante Mischung aus Reiseerzählung, Abenteuer, coming-of-age und Freundschaftsgeschichte. Apart ist der Wechsel zwischen für mich völlig unbekanntem kambodschanischen Terrain der Jetztzeit und den Rückblicken in die Vergangenheit. Kambodscha stellt sich bei Karig da wie ein ewig schwül-warmes Exil, in dem Backpacker ihrer bekifften Aussteiger-Romantik nachträumen. Alles scheint in der feuchten Tropenhitze langsamer zu gehen, stecken zu bleiben, und abwegig erscheint es an diesem seltsamen Ort nicht, dass Menschen plötzlich von ihm verschluckt werden. Vergangenheit trifft auf Gegenwart, und beides scheint nicht zueinander zu passen. Ein bisschen fühlte ich mich an Alex‘ Garland „The Beach“ erinnert, was die Abenteuer-Urlauber auf der Suche nach… was eigentlich? – angeht, die im Hostel ein- und ausgehen.
Drogen, Hitze, Backpacker, runtergekommene Lokalitäten und ein undurchschaubares System: das ist das Bild, das bei mir hängengeblieben ist, und ob das der Realität entspricht kann ich nicht beantworten.
Der interessante Part: die Vergangenheit
Beim Hören kristallisierte sich schnell heraus, dass mich die Rückblicke in die Vergangenheit, nach Deutschland, auf den Beginn und den Verlauf der Freundschaft zwischen Felix und dem Erzähler, wesentlich mehr interessierten als die Suche in Kambodscha, die lange auf der Stelle trat. Hoch interessant waren die Unterschiede zwischen den beiden Jungen: Felix, der mutigere, dominantere in dieser Beziehung, der zunächst beeindruckt, mit seinen grenzüberschreitenden Taten und Entscheidungen aber zunehmend Zweifel weckt. Der Erzähler: Felix bewundernd, sich von ihm mitreißen lassend, der aber – vor allem im Nachhinein – die Dysbalance in dieser Freundschaft erkennt und das nicht Greifbare an Felix. Wer wen wie beeinflusst, und wer tatsächlich der Stärkere der beiden ist – das ist der Weg der Erkenntnis, den der Erzähler bereist.
Der Schluss geht baden
Am Schluss vergeigt es sich Friedemann Karig bei mir. Natürlich wartet man darauf, ob der Erzähler seinen Freund findet, und falls ja, welchen Grund es für Felix‘ Verschwinden gab. Dahin schraubt Karig gegen Ende die Geschichte richtig hoch. Um dann mit einer – für mich – unnötig dramatischen Enthüllung aufzuwarten und in einen Schluss zu waten, der geradezu mythisch anmutet und die Geschichte für mich aus den realistischen Angeln hebt. Das ist mit Sicherheit Ansichtssache; andere mögen die Erklärung und Konsequenz passend finden. Mir aber kommt es vor, als habe Karig eine eigentlich charismatische Biografie einer Freundschaft am Ende unnötig überhöht, als er merkte, dass er ein dramatisches Finale brauchte. Hat er sich da in eine Ecke geschrieben, aus der er nicht mehr rausgekommen ist? Keine Ahnung. In meinen Augen wäre weniger jedenfalls mehr gewesen und hätte den Roman geerdet.
Fazit:
Ein Roman über Dinge, die sich tropisch und schummrig miteinander vermengen: Kambodscha, eine Jugendfreundschaft, die Suche nach einem Vermissten. Der namenlose Erzähler bleibt etwas blass, Kambodscha gefühlt zu klischeehaft einseitig, und der Schluss verliert sich in einer Überhöhung und unnötig dramatischer Enthüllung. Spannend sind der zwiespältige Blick auf eine teils dysfunktionale Freundschaft und der charismatisch- geheimnisvolle Felix. Spannend ist auch Fabian Busch als Sprecher, der sich wesentlich jünger anhört, als sein Foto das vermuten lässt. Alles in allem ein Roman, der sich am Ende – für mich – in seinem eigenen Dschungel verläuft.
Bewertung:
Hörbuch: 5 von 10 Punkten
Sprecher: 7 von 10 Punkten
Ein Rezensionsexemplar dieses Hörbuchs wurde mir vom Verlag im Gegenzug für eine ehrliche Rezension zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!