Seit ein paar Tagen ist das #TeamDickens am Start: die liebe Kathrin von phantasienreisen und die liebe Ute lesen gemeinsam mit mir einen Klassiker. Vor ein paar Jahren waren das „Anna Karenina“ und „Krieg und Frieden“ im #TeamTolstoi. Jetzt mussten wir uns eben umtaufen. Funktioniert auch, obwohl die Alliteration natürlich schöner war.
Wir haben uns das Buch in mehrere Teile eingeteilt, und der erste (Kapitel 1-9) ist gelesen. Zeit für ein kleines Résumée des Bisherigen.
Das ist bisher passiert:
Oliver ist in einem Arbeitshaus (das ist noch schlimmer als ein Armenhaus) geboren worden, und seine Mutter direkt danach gestorben. Die ersten 10 Jahre seines Lebens verbringt der Kleine unter schlimmen Bedingungen: Es gibt zu wenig zu essen, keinerlei Liebe, und das kleinste Aufmucken wird mit Kerker und körperlicher Misshandlung bestraft. Der Vorstand und der Kirchenspielmeister Mr. Bumble blicken mit Verachtung und Gleichgültigkeit auf ihre Zöglinge im Armenhaus hinab, heuscheln bigott aber Barmherzigkeit vor.
Mit 10 Jahren wird Oliver erst fast an einen Schornsteinfeger verkauft, der dafür bekannt ist, seine Lehrlinge im Kamin ersticken zu lassen. Stattdessen schiebt man ihn zu einem Sargtischler ab, wo er ebenso misshandelt wird und keinerlei Freundlichkeit erfährt.
Irgendwann reicht es Oliver. Zu Unrecht einer Missetat beschuldigt, setzt er sich zur Wehr, flieht und macht sich auf nach London. Dort wird er vom Taschendieb Jack Dawkins aufgegabelt und zum alten Juden Fagin mitgenommen, der außer Jack eine ganze Gang von Kindern zu Dieben schult und für sich arbeiten lässt. Ahnungslos, was eigentlich vor sich geht, lässt sich Oliver von der falschen Fürsorge von Fagin und seinen Jungs einwickeln.
Meine Gedanken zu Teil 1:
Ich kannte „Oliver Twist“ bisher nur aus einem Theaterstück für Kinder und aus dem, was man eben so darüber hört. Ich wusste, dass Oliver als Waisenkind im Armenhaus aufwächst und später zu einer Diebesbande gehört. Was mir nicht klar war: Wie furchtbar die Zustände wirklich sind, unter denen er überleben muss. Denn das sind seine ersten 10 Jahr: reines Überleben, entgegen aller Erwartungen und den fürchterlichen Zuständen zum Trotz. Der völligen Lieblosigkeit seines Umfelds begegnet Oliver tapfer, aber auch mit Kummer. Es bricht einem das Herz, und man schwankt zwischen dem Bedürfnis, ihn auf den Arm zu nehmen und allen anderen vor Wut den Kopf abzureißen. Ich bin regelrecht fassungslos, denn es ist bekannt, dass Dickens für seine offenbar realistische Schilderung des Armenmilieus schwer angefeindet wurde. Da ist also nichts geschönt. So war das, und das ist erschütternd.
Oliver schließt man sofort ins Herz und ist ganz auf seiner Seite. Unglaublich, dass er nach diesen schlimmen Jahren immer noch ein freundlicher, guter kleiner Kerl bleibt. Am Ende von Kapitel 9, so fürchte ich, kommt er vom Regen in die Traufe. Das kann nicht gut gehen als Dieb bei Fagin, aber ich hoffe, dass er unter den Jungs wenigstens Freundschaft erfährt, ein bisschen Wärme und nicht mehr hungern muss.
Sprachlich fühle ich mich einerseits wohl und finde es bereichernd, altmodische Begriffe wie „Sinekure“ letztlich googeln zu müssen. Was mich aber stört, ist die Entscheidung des Übersetzers, den Figuren als Zeichen ihres Standes oder ihrer Herkunft verschiedene deutsche Dialekte zu geben, z.B. Bayerisch oder Österreichisch. Klar, im Original haben die bestimmt auch ihre englischen Dialekte, aber das wäre mir doch ein einheitliches, einfaches, neutrales Deutsch für die Armen lieber gewesen. Ich muss mich dran gewöhnen.