#TeamDickens: Wir lesen „Oliver Twist“ – Teil 2

Oliver Twist von Charles DickensWeiter geht’s mit dem #TeamDickens und Oliver Twist. Wir haben gemeinsam Kapitel 10 – 18 gelesen und uns auf Twitter über die deutschen Dialekte in der Übersetzung aufgeregt, aber auch über ein paar schöne altmodische Wörter gefreut und uns des öfteren retiriert anstatt einfach ins Bett zu gehen.

Zeit für ein Update.

Das ist bisher passiert:

Oliver wird – obwohl unschuldig – des Taschendiebstahls verdächtig und soll ins Gefängnis gesteckt werden. Mr. Brownlow, der Bestohlene, glaubt dem armen Oliver jedoch und sorgt dafür, dass er freigelassen wird. Oliver bricht fiebernd und erschöpft zusammen. Mr. Brownlow nimmt ihn zu sich. Zum ersten Mal erfährt Oliver in dessen Haus liebevolle Fürsorge. Aber Fagin und sein „Geschäftspartner“ Sikes sind hinter ihm her – auch aus Sorge, Oliver könne der Polizei gegenüber etwas ausplaudern. Durch eine List und Lügen gerät Oliver wieder in Fagin’s Fänge. Mr. Brownlow lässt nach ihm suchen, ist aber – auch durch die Verleumdungen von Mr. Bumble – tief enttäuscht von Oliver.

Meine Gedanken zu Teil 2:

Was bin ich erleichtert, als Oliver endlich und zum allerersten Mal in diesem Buch Güte und Fürsorge erfährt. Nach all den Entbehrungen, dem Leid und den Bestrafungen tut es so gut, ihn in den Händen von Mr. Brownlow und seiner Bediensteten, Mrs. Bedwin zu sehen. Gleichzeitig schleicht sich schnell das Gefühl ein, dass das alles zu gut ist, um wahr zu sein.

Dickens facht das noch an, indem er einen Freund von Mr. Brownlow auftreten lässt, der unheilvoll prophezeit, Oliver sei nicht zu trauen, und das würde sich bald zeigen. Als das Unheil dann eintrifft und Oliver verleumdet und abermals allein und misshandelt wieder bei Fagin landet, ist das umso niederschmetternder. Dickens weiß wirklich, wie er seine Leser aufs Tiefste betrübt.

Apropos betrübt: Der traurigste Moment in diesem Teil kommt, als ein ehemaliger Leidensgenosse von Oliver, ein Junge namens Dick aus dem Armenhaus, krank, mit großen Augen und offenbar dem Tode geweiht einen Brief an Oliver übermitteln lässt, um ihm für die einzige Güte und Freundschaft zu danken, die ihm widerfahren ist. Es bricht einem das Herz.

Dickens‘ bittere Darstellung der Armen nagt an einem. Die Kritik an den bigotten Verantwortlichen ist überdeutlich, vor allem an der Kirche, die sich in angeblicher Barmherzigkeit sonnt und gleichzeitig die „undankbaren“ Armen verhungern und an vermeidbaren Krankheiten sterben lässt – unter ihrer „Fürsorge“. Dass Dickens dafür Anfeindungen über sich ergehen lassen musste, ist wirklich kein Wunder. Es ist hart zu lesen. Die Wut packt mich des öfteren.

Aber das ist auch ein Roman, und er ist spannend! Ich zittere mit Oliver und lese die Kapitel weg wie bei einem Pageturner. Ein richtiger Spannungsbogen wird da gebaut, und die Einführung von Mr. Brownlow als Hoffnungsschimmer facht das noch an.

Was mir (und den beiden anderen #TeamDickens Mitstreiterinnen) nach wie vor nicht passt, sind die vom Übersetzer benutzten deutschen Dialekte für die verschiedenen Figuren. Eine berlinernde Hure, ein wienerischer Fagin, ein bayerisch palavernder Lehrmeister – der Versuch, das vermutlich auch dialektreiche Englisch in deutsche Pendants zu übertragen, stört meinen Lesefluss und wirkt befremdend. Die Übersetzung von Gutav Meyrink mag gefeiert sein – auf mich wirkt sie überholt. Gut, dass der Roman einen so herzergreifenden Protagonisten wie Oliver hat und genug Herz und Spannung, um darüber hinwegsehen zu können.

Von besonderer Bedeutung zu sein scheint ein Porträt, das in Oliver’s Krankenzimmer bei Mr. Brownlow hängt. Die junge Frau darauf hat große Ähnlichkeit mit ihm. Zusammen mit der Information, dass Mr. Brownlow offenbar schon eine traurige Vergangenheit hinter sich hat, über die wir aber nichts wirklich Genaues erfahren, drängt sich in mir der Verdacht auf, dass die Dame auf dem Bild Oliver’s Mutter und ein Familienmitglied von Mr. Brownlow sein könnte – seine Tochter vielleicht? Oder ist das zu einfach und offensichtlich gedacht?

So, und jetzt möchte ich wissen, wie es Oliver mit den Jungs von Fagin, mit dem „Baldowerer“ und den anderen Schlitzohren ergeht. Und ich hoffe irgendwo immer noch, dass Mr. Brownlow ihn findet, sich alle Lügen aufklären und Oliver bei ihm bleiben kann.

Dem #TeamDickens könnt ihr am besten auf Twitter unter dem Hashtag folgen! Diskutiert gerne mit! Klassikerliebe kann man gar nicht weit genug verbreiten!

3 Gedanken zu “#TeamDickens: Wir lesen „Oliver Twist“ – Teil 2

  1. Kathrin 23. Dezember 2018 / 14:49

    Liebe Ute,

    als ich heute Morgen deinen Rückblick las, ist mir erst einmal bewusst geworden, wie viel Oliver auf den verhältnismäßig wenigen Seiten bereits durchgemacht hat. Irgendwie ist er immer ein Opfer der Umstände, gerät immer wieder in falsche Hände und balanciert unheimlich oft am Rande zum Tod. Was uns da wohl noch alles erwarten wird?

    Was das Portrait betrifft, hatte ich den gleichen Gedanken wie du, fand das aber auch schon fast zu einfach. Und sagte Mrs. Bedwin nicht, dass sie die Frau auf dem Bild nicht kenne? Gut, eventuell ist Mrs. Bedwin noch nicht so lang in Mr. Brownlows Diensten … So oder so wird das Gemälde aber sicher noch eine wichtige Rolle spielen.

    Viele Grüße und einen noch entspannten vierten Advent!
    Kathrin

    • papercuts1 23. Dezember 2018 / 19:42

      Liebe Kathrin,

      Du hast Recht: Es passiert viel, und eigentlich alles, ohne dass Oliver darauf irgendwie Einfluss nehmen kann. Und es geht tatsächlich immer wieder um Leben und Tod. Das hatte ich so ernst nicht erwartet. Und inzwischen traue ich dem Braten auch kaum noch: Wenn mal etwas Gutes passiert, rechne ich schon wieder mit dem Schlimmsten. Da muss am Schluss ganz dringend ein happy end her…

      Was das Portät angeht, haben wir dieselben Gedanken. So einfach kann das nicht sein. Das mit Mrs. Bedwin ist ein guter Einwurf. Wir werden es ja sehen, aber ich bin überzeugt, dass die Frau auf diesem Bild, sollte es einen guten Schluss für Oliver geben, dabei eine wichtige Rolle spielen wird.

      Dir auch noch einen schönen Rest-Adventssonntag!

      Ute

      • Kathrin 25. Dezember 2018 / 13:06

        Du hast Recht: Man wird skeptisch. Als Oliver bei Mr Brownlow landete, hatte ich auch sofort Zweifel, dass sich Olivers Leben nun zum besseren wendet. (Das wäre auch merkwürdig gewesen, wenn man bedenkt, dass noch die Hälfte des Buches vor uns liegt.) Ich hoffe aber, dass Oliver am Ende doch noch irgendwo ein liebevolles Zuhause findet. Und ich frage mich die ganze Zeit, wie man diese Geschichte für Kinder aufbereitet/ aufbereiten kann? Es gibt ja Ausgaben, die so überarbeitet wurden, dass Kinder sie lesen können…

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