Titel: Blutschatten – Der erste Fall für Sunday Night
Originaltitel: Two Nights
Aus dem Amerikanischen von Heike Schlatterer
Autorin: Kathy Reichs
Format: Hörbuch, mp3 CD
Sprecherin: Britta Steffenhagen
Verlag: Random House Audio
erschienen: 5.3.2018
Länge: ca. 08:50 Std., gekürzte Lesung
Sunday Night, Ex-Soldatin und Ex-Polizistin, wird von einem Bekannten gebeten, einen verschwundenen Teenager zu suchen. Das Mädchen verschwand bei einem Bombenanschlag vor einer religiösen Schule, bei dem weitere Familienmitglieder ums Leben kamen. Die Mutter von Stella hofft immer noch, sie wieder zu finden. Sunday, selbst mit seelischen und körperlichen Narben versehen, macht sich an die Arbeit.
Kathy Reichs‘ neue Heldin?
Kathy Reichs ist vor allem wegen ihrer Thriller-Serie rund um die forensische Anthropologin Temperance Brennan bekannt. Die temperamentvolle Figur schaffte es sogar in eine erfolgreiche TV-Serie: „Bones“. Tempe ermittelt immer noch, aber jetzt hat Kathy Reichs einen Versuchsballon losgelassen, um eventuell eine neue Figur zu etablieren (So ganz klar ist noch nicht, ob „Blutschatten“ ein Stand-alone bleibt oder ein Serienauftakt bleiben soll).
Sunday ist nicht Tempe
Jetzt also Sunday Night. Die muss sich den Vergleich mit Tempe natürlich gefallen lassen. Beide Frauen teilen einen starken, manchmal hitzköpfigen Charakter. Davon abgesehen ist Sunday Night ein ganz anderer Typ: Sie ist keine Akademikerin mit Doktortitel, sondern eine im Nahkampf und an Waffen ausgebildete, erdige Pragmatikerin. Beide sind engagiert. Beiden gehen ihre Fälle nahe. Anders als Tempe, der das Herz auf der Zunge liegt, verbirgt Sunday ihre Emotionen unter einer sehr rauen Schale. Sie wirkt schroff, abweisend, spröde. Das macht es nicht einfach, sie als Figur ins Herz zu schließen.
Dass sie es verdient hat, weiß man dabei. Sunday war Soldatin, und ihren Polizeiberuf musste sie nach einer schweren Verletzung aufgeben, die sie mit einem halbblinden Auge und Narben im Gesicht zurückgelassen hat. Zudem verlor sie früh ihre Eltern, ist ein Adoptivkind. Sunday ist ein traumatisierten Wesen, hat das aber so gut verpackt, dass für andere Figuren der Zugang zu ihr genauso schwer ist wie für den Leser bzw. Hörer.
Das Herz der Sache: Gus
Aufgewärmt werden Sunday und die Geschichte vor allem von einer Figur: Gus, Sunday’s leiblicher Bruder. Er ist ein Sonnenschein mit Witz und Charme. Das hilft der Geschichte und lässt Sunday in anderem Licht erscheinen. Allerdings ist es auch ein Problem, wenn man sich einer Nebenfigur mehr zuneigt als der designierten Protagonistin. Falls Sunday Night in Serie geht, wird das ohne Gus nicht funktionieren.
Plot mit Kugeln und Fäusten
Wo Tempe Brennan mit Wissen und der Unterstützung eines männlichen Polizisten agiert, nimmt Sunday Night die Dinge selbst in die Hand. Und zwar wortwörtlich. Der Plot – eine solide, aber überraschungsarme Spurensuche, unterbrochen von Perspektivwechseln zum Opfer – ist gespickt mit Nahkampf und Kugelhagel. Das ist schon cool gemacht. Eine Frau, die Männern das Wasser reichen kann und sich auch von einer Schussverletzung kaum aus dem Tritt bringen lässt. Toughes Mädchen. Die Actionszenen sind gut choreographiert, kommen satt rüber. Aber es gibt ein bisschen zu viele davon. Gefühlt jede zweite Befragung endet mit fliegenden Fäusten oder Blei. Als würde Reichs krampfhaft versuchen, hier eine Actionheldin zu etablieren. Wir haben es verstanden!
Nationaler Extremismus als Subplot
Der Bombenanschlag, der alles ins Rollen bringt, beruht auf Extremismus, der diesmal hausgemacht ist. An sich ein spannendes Thema, und Reichs vermengt es auch noch mit einem gehirnwaschenden Kult, spitzt die Jagd auf einen bombigen Showdown bei einem Großereignis zu. Aber irgendwie gerät das spannende Thema zum Subplot unter den obskuren Blicken in Stellas Erleben, Sunday’s Nahkämpfen und Trauma-Flashbacks, zwischen den häufig unsympathischen Figuren. Es berührt nicht wirklich.
Toughe Figur, toughe Stimme
Britta Steffenhagen, das muss man sagen, passt zu Sunday Night. Sie hat etwas Direktes, Unverziertes an sich. Man kauft ihr die Actionszenen genauso ab wie Sunday’s unprätentiöse Art zu reden. Wenn ich nach einem Vergleich suche, dann fällt mir dieser ein: Britta Steffenhagen hört sich an wie ein aufgerautes Frotteehandtuch – früher mal weich, aber von zu vielen Schleudergängen gehärtet.
Fazit:
Kathy Reichs gibt sich wirklich Mühe. Sie nimmt ein spannendes Thema. Sie kreiert eine toughe Heldin, die gleichermaßen mit Schusswaffen wie mit Fäusten umgehen kann. Sie gibt ihr eine traumatische Vergangenheit für die Charaktertiefe. Und einen ungewöhnlichen Namen. Heraus kommt allerdings ein zu bemühter Versuch eines Actionthrillers mit einer Figur, die man nicht gleich ins Herz schließt, und einem Plot, dem der Funken des Außergewöhnlichen fehlt. Solide ja, aber nicht reizvoll genug, um neugierig auf mehr zu machen.
Ein Rezensionsexemplar von „Blutschatten“ wurde mir von Random House Audio im Gegenzug für eine ehrliche Rezension zur Verfügung gestellt. Danke!