Ferngespräch mit Major Tom

Titel: Miss Gladys und ihr Astronaut
Originaltitel: Calling Major Tom
aus dem Englischen von Wibke Kuhn
Autor: David M. Barnett
Format: Taschenbuch mit Klappenbroschur
Verlag: Ullstein
erschienen: 28.05.2018
Länge: 416 Seiten

 

Schon letztes Jahr schwebten Bemerkungen zur englischen Originalausgabe, betitelt „Calling Major Tom“ immer mal durch meinen Newsfeed, und das Buch nistete sich – gemeinsam mit einem hartnäckigen David Bowie-Ohrwurm – in einer Hintertür meines Kopfes ein. Dann kam „Miss Gladys und ihr Astronaut“ im Mai auf Deutsch heraus, und das so völlig anders gestaltete, quietsch-lilafarbene, ziemlich schrille Cover riss den Titel wieder aus meinem Gedächtnis ans Licht. (Ja, und auch David Bowie legte ungefragt wieder los). Zeit, sich mal mit Thomas Major auf Mission ins All zu begeben.

Darum geht es:

Der hat nach einer gescheiterten Ehe die Schnauze voll von den Menschen und landet – obwohl eigentlich gar kein ausgebildeter Astronaut – durch einen aberwitzigen Zufall als einziges Besatzungsmitglied in einem Raumschiff auf dem Weg zum Mars. Dort soll er als Ein-Mann-Vorhut die Besiedelung vorbereiten und ist froh, bis dahin erstmal komplett alleine zu sein und seine Ruhe zu haben. Als es an Bord des Raumschiffs Probleme mit der Kommunikation gibt, muss ein gutes altes Satellitentelefon herhalten. Das klingelt eines Tages, und am anderen Ende ist nicht Ground Control, sondern eine freundliche, verwirrte alte Dame: Gladys Ormerod. Sie findet den Heimweg nicht mehr. Major Tom hilft ihr, zunächst widerwillig. Es bleibt aber nicht das letzte Telefonat mit Familie Ormerod, zu der noch Gladys‘ Enkelkinder Ellie und James gehören. Die Familie steckt in Schwierigkeiten, und über tausende von Kilometern hinweg entwickelt sich eine Freundschaft zwischen ihnen und „Major Tom“.

Wie hört sich das an? Unwahrscheinlich? Kitschig? Seicht?

Unwahrscheinlich stimmt schon mal. Möchte man diesen Roman genießen, muss man das betreiben, was sich auf Englisch „suspension of disbelief“ nennt: Man muss den eigenen Unglauben außer Kraft setzen. „Miss Gladys“ spielt zwar in der jetzigen Realität, aber vor allem Major Tom’s Anteil der Geschichte ist so unrealistisch, dass wir es schon fast mit Märchenhaftem oder magical realism zu tun haben. Wie er an seinen Astronautenjob kommt, wie seine Mission abläuft, wie wenig davon wissenschaftlich oder technisch wirklichkeitsgetreu abläuft ist schon manchmal albern. Für Science Fiction Fans ist das gar nichts. Um Weltraumfahrt geht es hier tatsächlich aber auch überhaupt nicht, sondern um die Menschen. Wenn man das geschluckt hat, funktioniert das Buch.

Das Wirklichkeitsfremde erstreckt sich auch auf andere Teile der Story. Im wahren Leben hätte das Jugendamt sich längst auf Familie Ormerod gestürzt, und Glady’s Demenz hätte auch nicht diese schmunzelnd kauzige Anmutung, sondern wäre wesentlich bestürzender und unschöner. Schon ganz früh im Buch muss man sich daher entscheiden: Akzeptiere ich den Unrealismus der Geschichte oder nicht? Finde ich das albern oder ein schönes Märchen?

Leicht ja, kitschig nein

Eine gute Überleitung zur Frage nach dem Kitsch. Und tatsächlich gibt es den kaum. Es gibt Humor, es gibt die Bekehrung eines Misanthropen zum Menschenfreund, es gibt anrührende Szenen, und David Barnett trägt auch mal dicker auf. Aber er unterfüttert die drohenden Kitsch-Momente mit einer Prise Ernsthaftigkeit und Dimension.

Das Herz des Romans: Figuren mit Herz

Nicht, dass die Figuren hoch komplex wären. Major Tom ist der grummelige Einzelgänger, der unfreiwillig bekehrt wird. Miss Gladys ist die freundliche, gutherzige Oma mit dem Herz am rechten Fleck und einem Gedächtnisproblem. Ellie ist die große Schwester, die zu früh erwachsen werden und für ihren Bruder zum Mutterersatz werden muss. Das ist schnell offensichtlich und ohne Brüche. Dennoch sind sie alle keine einseitigen Pappmaché-Figuren. Ellie’s belastete Traurigkeit, Gladys‘ tapferer Optimismus, Tom’s Lebensmüdigkeit sorgen dafür, dass die Geschichte nicht auf die seichte Seite kippt und wir diese Menschen ins Herz schließen. Leicht ist diese Story, ja, aber sie guckt trotzdem ein bisschen unter die Oberfläche und berührt.

Lesbar in Lichtgeschwindigkeit

Dass sich das Buch trotz über 400 Seiten sehr flott liest, dafür sorgen der unkomplizierte Schreibstil, kurze Kapitel, häufige Perspektivwechsel und ein Spannungsbogen, der sich am Ende genau dorthin auflöst, wo man ihn haben will. Nicht ALLES ist vorhersehbar, aber das Wichtigste schon. Was nicht zu gelangweiltem Achselzucken führt, sondern zu zufriedenem Seufzem. Für mich war das ein entspannt verbrachter Lesesonntag.

Fazit:

Ein leicht zu lesender Unterhaltungsroman, bei dem es eigentlich überhaupt nicht um Weltraumfahrt geht, sondern um die Menschen, um Freundschaft, Familie, Miteinander. Darum, dass man nur gemeinsam weiterkommt und einander braucht. Besonders der Astronautenaspekt des Romans ist sehr unrealistisch, und auch die Darstellung von Demenz ist arg gezuckert, aber wenn man diesbezüglich seine Erwartungen aus dem Fenster wirft, hat man etwas richtig Nettes zu lesen, trifft herzerwärmende Figuren und geht positiv und optimistisch gestimmt aus diesem Buch heraus. Und eine Woche lang abwechselnd David Bowie’s „Space Oddity“ und „Starman“ vor sich hinsummend natürlich. Lesen auf eigene Gefahr.

Disclaimer: Ein Rezensionsexemplar wurde mir vom Verlag kostenlos zur Verfügung gestellt.

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