Eigentlich wollte ich nach Outlander #3 „Voyager“ erstmal eine Pause einlegen und mir in aller Ruhe die anstehende 3. TV-Staffel ansehen. Aber auch wenn Geduld eine Tugend ist – nicht bei mir, und so griff ich noch am selben Tag zu Buch 4 der Reihe: „Drums of Autumn“ (auf Deutsch: „Der Ruf der Trommel“).
Worum geht es in „Drums of Autumn“?
Waren Claire und Jamie am Ende von Buch 3 in Amerika angekommen, so verbringen sie Buch 4 damit, sich dort ein neues Leben aufzubauen – nicht einfach in der Wildnis der frühen Siedlerzeit, wo Indianer, wilde Tiere und harte Winter nur zu einigen der Gefahren gehören, mit denen sie konfrontiert werden. Währenddessen macht Claire’s Tochter Brianna in den 60er Jahren eine Entdeckung, die ihr klar macht: Sie muss ihre Mutter finden. Auf Brianna’s Fersen: Roger Wakefield, der mehr als nur Gefallen an ihr gefunden hat.
Neu im Rampenlicht: Brianna
Wir kennen das schon: Diana Gabaldon reiht auch in „Voyager“ wieder ein kleines Abenteuer an das andere, lose zusammengehalten durch einen übergreifenden Faden. Was neu ist: Dieser Faden hängt nur bedingt an Jamie und Claire. Während wir unsere zwei an neue Orte, durch Gefahren und auch viel harmonische Zweisamkeit begleiten, geht der Handlungsantrieb von jemand anderem aus: Brianna. Sie (und Roger) entwickeln sich im Laufe des Buches zur 3. und 4. Hauptperson.
Ihre Handlungen sind es, die durch das ganze Buch hindurch Konsequenzen nach sich ziehen. Sie ist diejenige, über der ein Damoklesschwert hängt. Und auch in Sachen „Paararbeit“ macht sie Claire und Jamie langsam Konkurrenz: Mit Roger beginnt das Spiel aus Attraktion und Zweifel, aus Trennung und Wiedervereinigung, aus Bleiben oder Gehen, das eigentlich mal Claire und Jamie gehörte.
Vignetten aus Fraser’s Ridge
Die sind indessen mit den Widrigkeiten des frühamerikanischen Alltags beschäftigt: Holzhausbau, Farmarbeit, Indianerbesuchen, der ein oder anderen Verletzung oder Erkrankung. Auf der Plantage eines Familienmitglieds müssen sie sich mit Sklaverei auseinandersetzen. Jamie plagt der bekannte Drang, seiner Claire endlich ein sicheres, gutes Leben zu bieten.
Wie an einer Perlenschnur bekommen wir Vignetten aus dem gefühlt beschaulicher werdenden Leben der Frasers geliefert. Ja, auch diesmal gibt es lebensgefährliche Situationen. Ja, garniert sind diese mit sexy-malerischen Beschreibungen von Jamie’s scheinbar unverwüstlicher Physis. Aber anders als zuvor sind unsere beiden an einem Punkt angekommen, wo ihre Beziehung zueinander überhaupt nicht mehr in Frage steht. Sie führen eine sehr gute, sehr stabile Ehe, und Jamie muss nicht mehr darum fürchten, dass Claire wieder durch die Steine in die Zukunft zurückkehrt.
Heimeliges Eheglück
Das sorgt dafür, dass die Aufregung und Sorge um dieses Paar beim Lesen nicht mehr so groß ist (vor allem, wenn man weiß, dass noch 5 weitere Bücher mit ihnen folgen). Man klebt nicht mehr wie ein Flitzebogen gespannt an den Seiten bzw. am Kopfhörer. Stattdessen hat das Ganze eine neue Qualität: Man genießt das liebevolle, immer noch mit viel Humor gewürzte, ebenbürtige Zusammensein dieser beiden Figuren und schaut ihnen zufrieden zu.
Outlander, die nächste Generation
Klar ist allerdings jetzt schon, dass Gabaldon eine Verlagerung der Geschichte auf die nächste Generation auf den Weg bringt. Hier hält es sich noch die Waage, aber die Tendenz ist klar, und ich bin damit nicht glücklich.
Das hängt natürlich vor allem damit zusammen, dass ich Jamie und Claire nach mehreren tausend Seiten kenne wie meine Westentasche und sie entsprechend ins Herz geschlossen habe. Ich will nicht sehen, wie sie den Rückzug hinter die Junioren antreten. Ich will mehr von den beiden, und da sie in der Geschichte auch erst um die 50 Jahre alt sind, finde ich einen Generationenwechsel viel zu früh.
Brianna…? Herrgottnochmal, BRIANNA!
Nächstes Problem: Brianna. Ich kämpfe damit, sie zu mögen. Sie ist mir (mit Anfang zwanzig) viel zu teenagerhaft, neigt zur drama queen und trifft haarsträubende Entscheidungen. Sie setzt sich gerne in die Nesseln und verursacht damit Probleme. Ja, auch Claire hatte einen Hang dazu, ihren Mund zu weit aufzureißen; und Jamie ist bekannt für unüberlegte Entschlüsse. Man könnte also argumentieren, dass Gabaldon Brianna konsequent zur Tochter ihrer Eltern gemacht hat. Das aber in einem Maße, das sie mir unsympathisch macht und mich immer wieder so aufregt, dass ich lauthals mit ihr schimpfe.
Roger Wakefield in zu großen Fußstapfen
Roger hat es ebenfalls nicht leicht, in die Fußstapfen von Jamie Fraser, Gottes Geschenk an die Frauen, zu treten. Er ist mir sympathischer als Brianna, aber zu hin- und hergerissen für meinen Geschmack. Seine Liebe zu Brianna ist ein laues Flämmchen, und am Erotikfaktor müssen die zwei auch noch ordentlich arbeiten, wenn mich das überzeugen soll.
Wie gewohnt: Geschichte, Geographie und Medizin
Aber noch habe ich genug Jamie und Claire im Buch, um zufrieden zu sein. Außerdem sind drei weitere wichtige Zutaten dieser Buchreihe gleich geblieben: Gabaldon nimmt uns, offenbar bestens recherchiert, hautnah und atmosphärisch mit in die 1760er, in die unberührten Wälder und Berge von Süd- und Nord-Carolina, in die Zeit vor dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, die Zeit der Indianer und Sklaverei. Die Beschwerlichkeiten des Siedlerlebens sind nicht poetisch, aber plastisch beschrieben. Die Schwierigekeiten, das schottische Highlanderleben mit seinen Werten, Ehrenkodizes und Clan-Animositäten auf den neuen Kontinent zu verfrachten, sind interessant mitzuerleben.
Claire kann ihr medizinisches Können weiterhin ausleben. Ob es um Erkrankungen geht, die in der Zukunft dank Impfungen überhaupt keine Gefahr mehr sind, oder um Knochenbrüche, Schusswunden oder Kinderkriegen – wie sie sich unter den Bedingungen des 18. Jahrhunderts ungebeugt gegen Infektion, Verbluten und Tod stemmt, ist wirklich spannend. (Ok, die Nummer mit dem Hexenschuss ist irgendwie lächerlich, aber ansonsten…).
Perspektiven-Karussell
Eine Sache habe ich noch gar nicht angesprochen, aber inzwischen geht Gabaldon so nonchalant damit um, dass ich auch mal was sagen muss: Sie würfelt Erzählperspektiven durcheinander, als hätte es noch nie Regel für soetwas gegeben. Ich-Erzählung, personale Erzählung, allwissende Erzählweise – alles kommt vor und wechselt manchmal so abrupt, dass man sich die Nase daran stößt. Wer „Outlander“ liest, lernt ein bisschen, über diesen erzählerischen Stilbruch hinweg zu sehen. Aber wenigstens für die Akten: Ich sehe, was du tust, Diana, und mein alter Englisch-Prof hätte das fett rot angestrichen!
Das Dauerthema „Vergewaltigung“
Worüber man noch reden muss: Vergewaltigungen werden zu einem unschönen Dauerthema in der Buchreihe. Was in Teil 1 schon schockierend war, aber für die Figuren- und Beziehungsentwicklung bedeutsam und – mit einem Mann als Opfer – auch mutig und Tabus brechend, wird mittlerweile zu einem fragwürdigen plot device. Inzwischen gibt es kaum mehr eine wichtige Figur, die nicht Opfer eines – meist brutalen – sexuellen Übergriffs wurde. Und auch wenn Gabaldon aus den gemeinsamen Traumata der Opfer die Möglichkeit zur gegenseitigen Hilfe ableitet, wirkt das Ganze inzwischen fragwürdig. Natürlich – zu damaligen Zeiten waren derartige Übergriffe vermutlich keine Seltenheit. Aber muss das wirklich fast jedem in den Büchern passieren? Ich hoffe, das setzt sich nicht fort.
Davina Porter for the win
„Drums of Autumn“ habe ich zu ca. einem Drittel als eBook gelesen und zu zwei Dritteln als englisches Hörbuch gehört. Über Davina Porter ist inzwischen alles gesagt. Ich habe mich richtig mit ihr angefreundet, und ich finde es gleichzeitig überraschend und toll, wie subtil aber deutlich sie die Stimmen von Claire und Jamie von denen von Brianna und Roger absetzt. Ein kleiner Kritikpunkt ist Brianna’s so gut wie komplett fehlender amerikanischer Akzent, und mit deutschen Satzbrocken tut Porter sich nicht leicht. Aber ansonsten sind ihre Nuancen, ihr Schottisch und der schalkhafte Touch einfach nur unterhaltsam zu hören.
Fazit:
Ein weiterer, stilistisch und formal alles andere als perfekter Band der „Outlander“-Reihe, mit allen bekannten Fehlern und Vorzügen. Letztere überwiegen immer noch, und wer – wie ich – bis hierher durchgehalten hat, wird das auch bis zum Ende der Reihe tun. Zu sehr hat man Jamie und Claire ins Herz geschlossen, und zu gerne möchte man wissen, wie das alles enden wird. Trotz Längen und Lächerlichkeiten, trotz anstrengender Nebenfiguren, die sich in den Mittelpunkt des Geschehens drängen wollen.
Bewertung:
Hörbuch: 7 von 10 Punkten
Sprecherin: 8 von 10 Punkten
Informationen zum Buch:
Titel: Drums Of Autumn
dt. Titel: „Der Ruf der Trommel“
Autor: Diana Gabaldon
Sprache: Englisch
Format: Hörbuch und eBook (Kindle Edition)
Sprecherin: Davina Porter
Erscheinungsdatum eBook: 30.09.2011 bei Cornerstone Digital
Erscheinungsdatum Hörbuch: 28.03. 2008 bei Recorded Books
Länge Hörbuch: 44:54 Std., ungekürzt
Seitenanzahl der Printausgabe: 898 Seiten
Das Hörbuch ist als Download bei audible.de erhältlich, und zwar HIER. Es kostet im Flexi-Abo € 9,95 (regulärer Preis € 46,95). Eine Hörprobe findet ihr ebenfalls auf der Produktseite von Audible.