Hörbuch-Rezension: ‚Baba Dunjas letzte Liebe‘ von Alina Bronsky

Baba Dunjas letzte Liebe von Alina BronskyTitel: Baba Dunjas letzte Liebe
Autorin: Alina Bronsky
Sprache: Deutsch
Sprecherin: Sophie Rois
Verlag: tacheles! /Roof Music
erschienen: 20.08.2015
Länge: 04:33 Std., ungekürzt

Das Hörbuch ist als Download bei audible.de erhältlich, und zwar HIER. Es kostet im Flexi-Abo € 9,95 (regulärer Preis € 13,95). Eine Hörprobe findet ihr ebenfalls auf der Produktseite von audible.

Zum Hörbuch:

In Tschernowo ticken die Uhren anders. In diesem kleinen Dorf in der verstrahlten „Todeszone“ um Tschernobyl, weitab vom Rennen und Rauschen der modernen Welt, führen die alte Baba Dunja und andere Heimkehrer ein einfaches, ein trotziges Leben. Wo sich andere nur im Strahlenschutzanzug hinwagen, hegt Baba Dunja ihren Gemüsegarten, kocht Hühnersuppe und begibt sich nur selten auf den langen, beschwerlichen Weg in die nächste belebte Stadt zum Einkauf des Notwendigsten und zum Abholen der Post für das ganze Dorf.

Karge Idylle…

Ohne Computer, Fernseher oder Telefon, ohne Tageszeitung oder Kontakt zur Außenwelt wirkt das Dorf wie eine Insel. Karg zwar, aber nicht ohne eine gewisse Idylle. Die knorrigen Bewohner tun verstockt, schauen aber in trutziger Solidarität aufeinander. Beinahe 100jährige bandeln miteinander an. Die Vögel singen besonders laut und schön, während Baba Dunja Tee aus frisch gepfückter Minze aufbrüht.

…in der Todeszone von Tschernobyl

Doch da sind die Spinnen, deren Netze seltsame Formen haben. Da sind Katzenbabys ohne Augen. Da sind die Briefe von Baba Dunjas Tochter aus Deutschland, die zwar Pakete schickt, aber niemals zu Besuch kommen wird. Da sind die Toten, die im Garten zum stummen Morgengruß warten – sogar der frisch in der Suppe gelandete Hahn Konrad.

Und dann tauchen Neuankömmlinge auf, die Baba Dunja zum Einschreiten zwingen, und Post kommt an von Enkelin Laura…

Zwischen einfachem Märchen und komplexem Roman

Etwas Anderweltiges, fast Märchenartiges haftet BABA DUNJAS LETZTE LIEBE an, geschrieben von der in der Sowjetunion geborenen und als Jugendliche nach Deutschland übersiedelten Autorin Alina Bronsky. Gleichzeitig ist der Roman zeitgenössisch und historisch verankert an das Reaktorunglück von Tschernobyl.

Viele Themen treffen sich in den scheinbar einfachen Sätzen aus der Ich-Perspektive von Baba Dunja: Leben, Sterben und Tod natürlich. Alter und Jugend. Die Überforderung der modernen Welt und die Nostalgie der Vergangenheit. Würde und Selbstbestimmung. Loyalität. Das dünne Eis zwischen Starrsinn und Mut. Die einsame Entscheidung, einen Preis zu zahlen, für das Leben, das man wählt.

Bronsky lässt ihre gestandene Alte Baba Dunja selbst erzählen, scheinbar unerschütterlich, kratzbürstig, mit sanfter Ironie und murrigem Schalk. So gnadenlos sie über die anderen Dorfbewohner herzieht, so groß ist insgeheim ihr Herz für sie. Und wenn es um Enkelin Laura geht, die sie noch nie gesehen hat, verbünden sich Sehnsucht mit Träumen.

Logo Deutscher Hörbuchpreis

Deutscher Hörbuchpreis für Sprecherin Sophie Rois

Schauspielerin Sophie Rois obliegt es, in der Hörbuchversion stimmlich in Baba Dunjas stachelige Haut zu schlüpfen. Ein Akt, den sie mit Bravour vollzieht. Schon die ersten Sätze hinterlassen Fußspuren im Ohr. Mit weiser Wucht setzt sich diese knarrige Stimme in den Gehörgang, kraftvoll, mit schwerem Atem und Gewicht.

Wer Sophie Rois nicht kennt, wird überrascht sein, wenn er sie googelt. Was sich anhört wie eine gegerbte 80jährige entpuppt sich in Wirklichkeit als grazile Person in den Fünfzigern. Kein Wunder also, dass Rois für ihre Lesung der „Baba Dunja“ als „beste Interpretin“ gerade mit dem Deutschen Hörbuchpreis 2016 ausgezeichnet wurde. Diese Stimme, mit der Textur einer harzigen, dunklen Baumrinde, lässt Bronskys Romanfigur lebendig werden. Aus der Ich-Erzählung wird ein echtes „Ich“, eine dreidimensionale Person – hier kann das Medium Hörbuch seine geballte Kraft ausspielen. Und Sophie Rois ihre ganze, glorreiche Markanz.

Fazit:

Ein kurzer Roman von gewaltiger Einfachheit. Eine wuchtige Hauptfigur, alt, stark, wie eine Trutzburg in einer kleinen Welt, die Hand im Hand mit dem Tod lebt. Der Geist von Tschernobyl weht durch die Zeilen, aber auch der Schmerz über die Gegenwart. Eine Geschichte, einprägsam wie der letzte Kraftakt einer Truppe Todgeweihter. Und gerade darum eine trotzige Ode an das Leben.

Dass das Echo dieses kleinen Juwels nachhallt, dafür sorgt Sprecherin Sophie Rois mit einer Stimmfarbe wie warme, harzige Kirschbaumborke. Und gewinnt damit zurecht den Deutschen Hörbuchpreis 2016. *Verbeugung*

Bewertung:

Hörbuch: 10 von 10 Punkten
Sprecherin: 10 von 10 Punkten

P.S.: #dhp2016 und #bookupDE – Eure ‚Live-Feeds‘ zum Deutschen Hörbuchpreis 2016

Als eine der glücklichen Teilnehmerinnen eines #bookupDE darf ich am 8. März 2016 bei der Gala zur Verleihung des Deutschen Hörbuchpreises in Köln dabei sein. Zusammen werden wir unter den Hashtags #dhp2016 und #bookupDE live im Internet berichten – über Facebook, Twitter, Instagram und Co. Wenn ihr mögt, nehmen wir euch also mit und vermitteln euch live Hörbuchpreis-Feeling. Seid dabei!

Außerdem könnt ihr auf dem Blog von Kerstin Scheuer am 8. März Rezensionen zu (fast) allen Preisträgern finden. Die haben wir im Vorfeld nämlich gemeinsam unter die Lupe (und in die Ohren) genommen. Ehrensache.

5 Gedanken zu “Hörbuch-Rezension: ‚Baba Dunjas letzte Liebe‘ von Alina Bronsky

  1. Silvia 5. März 2016 / 15:28

    Sehr schöne Rezi! Das Hörbuch ist toll und zu recht mit einem Preis bedacht worden. Mit fallen Rezensionen von Hörbüchern immer sehr schwer, dir ist das gut gelungen.

    • papercuts1 6. März 2016 / 17:14

      Hallo Silvia,

      ich danke dir! Ich muss inzwischen immer etwas aufpassen, dass die Bewertung der Sprecher und ihrer stimmlichen Interpretation des Textes nicht mehr Gewicht bekommt als das eingelesene Buch selbst. Als ich vor ein paar Jahren mit Hörbüchern anfing, dachte ich nie, wie wichtig mir dieses Medium mal wird.

      Gruß,

      Ute

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