Zusammen mit der lieben @Liedie40 lese ich Anna Karenina von Leo Tolstoi. Näheres dazu erfahrt ihr HIER. Verfolgen könnt ihr unser Vorankommen auf Twitter unter dem hashtag #TeamTolstoi. Außerdem ziehe ich nach jedem der 8 Teile, in die der Roman sich splittet, eine kurze Bilanz.
Teil 3 – Was denn nun?!
Was geschieht:
Lewin setzt sich intensiv mit seinen Ideen zum Thema ‚Arbeiter als treibende Wirtschaftskraft‘ auseinander. Ein Tag, den er gemeinsam und glücklich mit seinen Arbeitern bei der Heuernte auf dem Feld verbringt, bestärkt ihn noch mehr in seinen Ansichten. Er diskutiert mit verschiedenen Personen darüber, zunächst mit seinem Bruder Sergej, der zu Besuch kommt, später mit einem erfolgreichen Bauern, dann mit seinem Freund Swijaschski. Es geht um eine sich verändernde Welt: das Ende der Leibeigenschaft, den Beginn der freien Arbeit, und natürlich um Politik – Kommunismus, Sozialismus und Zwischenwege. Lewin beschließt, seine Arbeiter am Gutshof zu beteiligen und gründet eine Art Genossenschaft. Der Anfang dieses neuen Weges gestaltet sich problematisch.
Darja hält sich nicht unweit von Lewins Gut auf dem Land auf. Es gibt Geldsorgen im Hause Oblonski, und das Leben auf dem Land ist billiger. Darja plagt sich zudem mit Zweifeln an der Treue ihres Ehemannes Stepan. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit den deutlich härteren, einfacheren Lebensumständen auf dem Land arrangiert Darja sich.
Zufällig trifft sie bei einem Badeausflug auf Lewin. Sie bemüht sich sehr, Lewin Kittys Verhalten zu erklären, um den beiden so eine neue Chance zu verschaffen. Kurz darauf sieht Lewin Kitty in einer Kutsche vorbeifahren, und er scheint sie doch noch immer zu lieben.
Annas Ehemann Alexej verwirft den Gedanken an Trennung von seiner Frau. Er erkennt, dass es für Anna eine größere Strafe ist, wenn sie bei ihm bleiben muss. In einem Brief an sie stellt er seine Bedingungen auf: Er will Wronski nicht zu Gesicht bekommen, und die Affäre muss geheim bleiben. Dafür wird er Anna weiter ihre Rechte als Ehefrau zukommen lassen. Der Brief enthält auch eine versteckte Drohung: Sollte Anna gegen diese Bedingungen verstoßen, wird er ihr den Sohn entziehen.
Anna verfasst ebenfalls einen Brief an Alexej, dass sie ihn verlassen wird, schickt ihn aber nicht ab, als kurz zuvor Alexejs Nachricht an sie eintrifft.
Bei einem Treffen mit Wronski kommt es zu Missverständnissen und Enttäuschungen. Wronski denkt insgeheim nur an das von ihm erwartete Duell, und Anna ist hin- und hergerissen zwischen Bleiben und Fliehen. Hinzu kommt, dass Wronski bei einem ‚Kassensturz‘ festgestellt hat, dass er verschuldet ist. Durch einen Kredit bei einem Wucherer will er die drängendsten Schulden ausgleichen. Ebenfalls ablenkend in seinem Kopf ist der Besuch eines Freundes beim Regiment: Serpuchowskoi ist – im Gegensatz zu Wronski – inzwischen befördert worden, während Wronski seinen Ehrgeiz und seine Karriere für die Liebe zu Anna aufzugeben bereit ist – oder nicht?
Lewin bekommt vorübergehend Besuch von seinem todkranken Bruder Nikolai. Als dieser wieder abreist, in der Gewissheit, dass es die letzte Begegnung der beiden Brüder ist, lässt er einen trübsinnigen, über Leben und Tod nachdenkenden Lewin zurück.
Meine Eindrücke:
- Hin und Her
Ich tue mich in diesem Kapitel schwer mit der Wankelmütigkeit sämtlicher Figuren. Lewin, Anna, Wronski – sie entscheiden sich alle paar Minuten um, drehen sich um 180°, und ich weiß nicht, was ich darüber denken soll:
Lewin will in der einen Sekunde sein Leben als Gutsherr aufgeben, einfacher Arbeiter werden und niemals heiraten – in der anderen gründet er eine Genossenschaft, entwirft Wirtschaftstheorien und ist wieder unsterblich verliebt in Kitty.
Anna will ihren Mann verlassen und mit Wronski durchbrennen, Skandal hin, Skandal her – um dann doch lieber zu bleiben, weil sie ihren gesellschaftlichen Stand behalten möchte, ihren Sohn, und sich über Wronski doch nicht so sicher ist.
Wronski liebt Anna, möchte sich für sie duellieren, aus dem Regiment austreten und mit ihr ein neues Leben beginnen. Andererseits würde er doch gerne Karriere machen und sich nicht fest an Anna binden.
Hm. Was denn nun, Freunde? Ich verstehe, dass die Protagonisten große Entscheidungen zu treffen haben, und dass man die abwägen muss. Aber die abrupten, völlig gegensätzlichen Entschlüsse, die gefasst werden, um sie dann doch komplett wieder über den Haufen zu werfe , und das immer wieder – davon bekomme ich ein Schleudertrauma! Hüh und hott. Hin und her. Ich erwarte, dass das so weitergeht, und ich werde einen Weg finden müssen, mich daran zu gewöhnen.
- Ein offenes Geheimnis
Etwas merkwürdig ist auch die Art und Weise, wie Wronskis und Annas Affäre von den verschiedenen Fraktionen gesehen und behandelt wird. Annas Mann erwartet, dass die beiden ihre Liaison geheim halten. Andererseits scheint schon längst jeder von den beiden zu wissen: Sie sind beliebtes Tratschthema bei sämtlichen gesellschaftlichen Zusammenkünften, und keiner scheint diese Affäre tatsächlich zu missbilligen. Während Anna sich wenigstens um Diskretion bemüht, scheint Wronski das kaum als nötig anzusehen und geht geradezu mit seiner Liebschaft hausieren.
Es scheint so zu sein: Jeder weiß von der Affäre, aber solange sie nicht ‚offiziell‘ existiert, gibt es sie auch nicht und ist auch kein Grund für einen Skandal. So wahrt Annas Mann sein Gesicht, Anna ihren Ruf, und man hat ein schönes Partythema.
- Loverboy oder Chauvi?
Anfangs bin ich ja gemeinsam mit Anna voll auf Wronski abgefahren. Der hat Schwung, wirkt jung, fesch und herrlich ungestüm. Romantisch. Der hat Feuer. Dieses positive Bild von ihm bekommt in Teil 3 jetzt Kratzer. Erst macht er Anna den Hof, schwängert sie und bringt sie in diese ganze Situation. Inzwischen aber scheint ihm das Ganze zu kompliziert zu werden. Er hat Zweifel, schielt doch auf eine Karriere, möchte sich nicht wirklich binden und nimmt Annas Not nicht wirklich wahr. Als er über seine ‚Lebensregel’n nachdenkt, die u.a. beinhalten, dass man Männer nicht anlügen darf, aber Frauen schon, da muss ich ganz schön schlucken. Ist er etwa ein Windbeutel und gar nicht der tolle Kerl, den ich ihn ihm gesehen habe? Oder ist er einfach ein Mann mit den damals üblichen chauvinistischen Ansichten, und ich tue ihm Unrecht?
- Ich bleibe dran!
Dieser dritte Teil hat mich nicht ganz so euphorisch zurück gelassen wie die ersten zwei. Ich merke, dass mich einige der ‚veralteten‘ Sichtweisen des Romans herausfordern. Das selbstherrliche Gehabe der Männer provoziert die Emanze in mir. Die Unterwürfigkeit der Frauen, die aber gleichzeitig ihre weibliche ‚Schwäche‘ gezielt pflegen, sorgt dafür, dass sich meine Nackenhaare aufstellen.
Aber gut. Andere Zeiten, andere Sitten. Andere Ansichten. Der Roman ist nach wie vor gut lesbar, sprachlich schön, und ich bin mehr denn je gespannt, wie die Geschichte für Anna ausgehen wird. So ist das bei mir mit literarischen Herausforderungen: Ich möchte sie meistern und verstehen. Und natürlich bleibe ich dran!
Da ich Teil 4 schon beendet habe, bin ich in der Mitte des Romans angelangt. Nun ist die Hälfte geschafft. Obwohl „geschafft“ trifft in diesem Fall gar nicht zu. Ich genieße jedes Kapitel und freue mich immer auf Deine Beiträge.
Obwohl ich den Roman vor (allzu) vielen Jahren schon einmal gelesen habe, lese ich ihn jetzt mit ganz anderen Augen, aber das ist ja immer so! Diese Sprache, die „Kalamitäten“, in denen unsere Figuren stecken; all das macht einen großen Klassiker aus und ich freue mich schon sehr auf die zweite Hälfte!