Rezension: ‚Der Nachtwandler‘ von Sebastian Fitzek

Der NachtwandlerTitel: ‚Der Nachtwandler‘

Autor: Sebastian Fitzek

Sprache: Deutsch

Format: Taschenbuch

Verlag: Knaur

erschienen: April 2013

Länge: 318 Seiten

Inhaltsangabe (amazon):

In seiner Jugend litt Leon Nader an Schlafstörungen. Als Schlafwandler wurde er während seiner nächtlichen Ausflüge sogar gewalttätig und deswegen psychiatrisch behandelt. Eigentlich glaubte er geheilt zu sein – doch eines Tages, Jahre später, verschwindet Leons Frau unter unerklärlichen Umständen aus der gemeinsamen Wohnung. Ist seine Krankheit etwa wieder ausgebrochen? Um zu erfahren, wie er sich im Schlaf verhält, befestigt Leon eine bewegungsaktive Kamera an seiner Stirn – und als er am nächsten Morgen das Video ansieht, macht er eine Entdeckung, die die Grenzen seiner Vorstellungskraft sprengt: Sein nächtliches Ich steigt durch eine ihm völlig unbekannte Tür hinab in die Dunkelheit …

Zum Buch:

Flughafenlektüre. Diesen Zweck soll Sebastian Fitzek’s neuester Thriller erfüllen, als ich ihn in Köln kurz vor Boarding vom Thriller-Grabbeltisch klaube. Und tatsächlich: Das Taschenbuch passt zeitlich genau in Hin- und Rückflug plus Warten am Gate. Eine Sache von insgesamt nur drei Stunden, und DER NACHTWANDLER ist ausgelesen.

Was sagt das über das Buch aus?

Zum einen, dass es irre spannend ist. Ein mysteriöser Prolog. Kapitel, die selten mehr als eine Handvoll Seiten haben. Cliffhanger. Das Spiel mit angstvoller Erwartung und dem Gefühl, UNBEDINGT wissen zu müssen, wie es weitergeht. Das sind die Mittel, mit denen Fitzek mich mal wieder an einen seiner Thriller fesselt. Ich kann das Ding nur mühsam aus der Hand legen.

Und bin dabei gleichzeitig angeekelt. Denn auch, wenn Fitzek die Kunst der Hochspannung beherrscht, haben seine Thriller doch regelmäßig auch etwas an sich, das mich abstößt. Weil der Autor mir zu plakativ wird. Weil er Gewalt, Horror oder sexuelle Abartigkeit nicht deshalb als Stilmittel benutzt, weil die Geschichte das braucht, sondern weil es die Sensationsgier der Leser bedient. Dieser Eindruck drängt sich nach der Lektüre mehrerer Fitzek-Titel jedenfalls auf.

Ja, es gibt Geschichten, die müssen Grenzen überschreiten um zu funktionieren. Da muss der Autor furchtbare, eklige oder pervertierte Dinge ins Geschehen einbauen, damit eine Handlung plausibel, ein Trauma nachvollziehbar, ein Motiv offensichtlich wird etc. Es gibt gute Gründe, seine Leser zu schockieren.

Es gibt aber auch Szenen, Sprache und Exzesse, die grundlos zu weit gehen. Dieses Gefühl hatte ich zuletzt bei Fitzeks (und Tsokos‘) ABGESCHNITTEN, und ich habe es auch wieder beim NACHTWANDLER. Die Spannung des Thrillers entsteht aus der knackigen, verwirrenden, spiralförmig anziehenden Handlung. Dass Fitzek mir mit sexueller Profanität, abartigen Folterszenarien und Ekelmomenten kommt, trägt dagegen NICHT zur Spannung bei, sondern lässt mich mit einem unguten Gefühl und Abscheu zurück.

Das ist sehr schade, denn das Verwirrspiel um Leon ist eigentlich klasse aufgebaut. Je weiter die Geschichte voranschreitet, umso weniger weiß man noch, was Traum ist und was Wirklichkeit. Ich mag es, wenn man sich selbst beim ‚Helden‘ der Geschichte so gar nicht sicher ist, ob er nicht eigentlich das ‚Monster‘ ist. Leiser Horror, Paranoia und ganz einfach Angst begleiten mich beim Lesen, und genauso hatte ich das mir vorgestellt. Das Thema ‚Schlafwandeln‘ gibt ebenfalls genug Stoff für Absurditäten, die irgendwo trotzdem wissenschaftlich erklärbar sind. Schön sind auch die Nebenfiguren, die wunderbar zum ansteigenden Wahn Leons beitragen.

Der Schluss ist dann leider nicht so stark wie erhofft. Fitzek schreibt seinen Leon in eine Ecke hinein, aus der er ohne eine haarsträubende Auflösung nicht mehr hinauskommt. Auch hier geht das Ganze einen Tacken zu weit. Wenn man einen Thriller so sehr aufdreht und Extreme heranzieht, wird es am Ende eben zwangsläufig unglaubwürdig. Ich hätte mir etwas Realistischeres als Erklärung sehr gewünscht, kann im Rückblick auf die immer bizarrer werdende Geschichte allerdings verstehen, dass das gar nicht mehr ging. Um den NACHTWANDLER schlußendlich noch zu erden, war Fitz mit der ganzen Angelegenheit einfach schon zu weit abgedriftet.

Fazit:

Ein ungeheuer spannender Thriller mit Horror-Touch. Fitzek kann Spannung aus dem Effeff, und er spielt mit der Psyche sowohl seiner Hauptfigur als auch der des Lesers. Ein Buch, das man kaum aus der Hand legen kann.

Allerdings gibt es unnötige Übertreibungen in Sachen Brutalität und sexueller Abartigkeit. Der schlechte Geschmack von Sensationismus drängt sich auf. Fitzek kann fesselnd schreiben und einen Lesesog aufbauen wie kaum ein anderer deutscher Thrillerautor zur Zeit. Dass er dabei auch im NACHTWANDLER wieder grundlos Grenzen überschreitet, ist sehr schade und ganz einfach unnötig.

Leider kann dieses Mal auch der Schluss der Geschichte nicht versöhnen. Der ist zu abgedreht und unrealistisch, um es noch rauszureißen.

Bewertung: 4/10

4 Gedanken zu “Rezension: ‚Der Nachtwandler‘ von Sebastian Fitzek

  1. Mandy 9. Juni 2013 / 19:05

    Ich kann mich deiner Rezension eigentlich nur anschließen – die Geschichte hat mich, wie immer, begeistert, aber auch ich hätte mir ein realistischeres Ende gewünscht, weil das die Vorgeschichte und die eigene Angst einfach noch verschlimmert hätte.

    Viele Grüße
    Mandy

    • papercuts1 9. Juni 2013 / 19:15

      Ja, nicht wahr? Durch die Unglaubwürdigkeit konnte man die Geschichte am Ende nicht mehr ernst nehmen. Und das nimmt dann den Thriller raus, da hast du Recht!

      Danke für’s Reinschauen!

  2. rheinufer 15. Juni 2014 / 15:04

    Fing alles sehr spannend und interessant an und wurde dann mit jeder Seite abstruser. Mann kann nicht nur die Handlung immer schwieriger nach verfolgen, sondern verliert auch das Interesse daran, wie auch an den Personen. Ich habe mich immer wieder gefragt, ob Fitzek überhaupt selber begreift, was er da geschrieben hat. Im Schnelldurchgang habe ich dann nur noch versucht, mich in das Ende zu flüchten, was mit „wirr“ noch positiv beurteilt ist.

    • papercuts1 15. Juni 2014 / 16:11

      Kann dich absolut verstehen!

      Meiner Meinung nach verrennt sich Fitzek – nicht nur in diesem Buch – zu sehr in das Bemühen, die allergrößte Spannung und die wahnwitzigsten Wendungen abliefern zu müssen. Das wird einfach zu sehr ins Extreme gesteigert, und Fitzek führt sich (trotz bester Absichten) damit selbst ad absurdum. Und das wird dann eben ‚wirr‘.

      Hast du schon andere Fitzeks gelesen? Ging es dir damit ähnlich?

      Danke für’s Vorbeischauen!

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