‚The Sense of an Ending‘ von Julian Barnes

Titel: ‚The Sense of an Ending‘
(dt. Titel: ‚Vom Ende einer Geschichte‘)

Autor: Julian Barnes

Sprache: Englisch

Sprecher:

Format: Hörbuch-Download von audible.de für €9,95 im Flexi-Abo (Normalpreis € 19,95)

Länge: 4 Std 40 min

Hörprobe

Inhaltsbeschreibung (von amazon.de):

Wie sicher ist Erinnerung, wie unveränderlich die eigene Vergangenheit? Tony Webster muss lernen, dass Geschehnisse, die lange zurückliegen und von denen er glaubte, sie nie mehr hinterfragen zu müssen, plötzlich in einem ganz neuen Licht erscheinen. Als Finn Adrian in die Klasse von Tony Webster kommt, schließen die beiden Jungen schnell Freundschaft. Auch später, nach der Schulzeit, bleiben die beiden in Kontakt. Bis die Freundschaft ein jähes Ende findet. Vierzig Jahre später, Tony hat eine Ehe, eine gütliche Trennung und eine Berufskarriere hinter sich, ist er mit sich im Reinen. Doch der Brief eines Anwalts, verbunden mit einer Erbschaft, erwecken plötzlich Zweifel an den vermeintlich sicheren Tatsachen der eigenen Biographie. Je mehr Tony erfährt, desto unsicherer scheint das Erlebte und desto unabsehbarer die Konsequenzen für seine Zukunft.

Zum Buch:

Das Buch beginnt in der Vergangenheit. Tony Webster drückt mit seinen Freunden Alex und Colin noch die Schulbank. Man betrachtet das Leben mit gelangweilter Hochnäsigkeit, diskutiert mit seinem Lieblingslehrer über Philosophie und geht davon aus, das kommende Leben im Erwachsenendasein sei wie ‚große Literatur‘. Der Selbstmord eines Mitschülers wird von Tony und den anderen mit Fatalismus und Schulterzucken zur Kenntnis genommen.

Finn Adrian stößt als vierter zu dieser engen Clique hinzu – als Kopf der Truppe, wie sich herauskristallisiert. Als der, um dessen Zuneigung und Respekt die anderen drei insgeheim buhlen, selbst, als sich die Wege der Vier nach dem Schulabschluss zu trennen beginnen.

In dieser Zeit erlebt Tony auch seine erste Beziehung und seinen ersten Sex. Veronica lässt ihn zu seinem Unverständnis unendlich lange zappeln, und selbst deren Mutter warnt Tony vor ihrer Tochter. Als ‚es‘ dann endlich passiert, ist die Beziehung zu Ende. Es ist ausgerechnet Adrian, der kurz darauf mit Veronica zusammen kommt und dies Tony fairerweise mitteilt, obwohl sie sich schon längst nicht mehr sehen. Besonders erfreut ist Tony über diese Entwicklung nicht.

Ein Schnitt. Tony ist mittlerweile dabei, ein alter Mann zu werden. Den Mittelteil des Buches bildet seine ruhige Rückschau auf sein Leben: Tony hat Margaret geheiratet und eine Tochter bekommen. Die Ehe ist gescheitert, aber mit Margaret versteht er sich immer noch gut, ebenso mit Lucy, seiner Tochter. Er hat eine Karriere hinter sich und ist mit seinem Leben zufrieden.

Da erreicht ihn anlässlich des Todes von Veronica’s Mutter eine Nachricht, die alles verändert: Adrian hat Selbstmord begangen und Tony etwas hinterlassen. Tony nimmt Kontakt auf mit Veronica, und eine tiefe, alte Wunde reißt wieder auf, die Tony völlig vergessen hatte. Damals hatte er einen Brief an Adrian und Veronica geschrieben. Ein Brief, der in seiner Erinnerung verblasst und bedeutungslos gewesen war. Aber Erinnerungen können täuschen.

So.

Ich habe mich unerwartet schwer getan mit diesem recht kurzen Hörbuch. Hoch gelobt von Kritikern und Lesern, war ich darauf vorbereitet, diese Geschichte zu lieben. Und äußerst überrascht, dass das nicht der Fall war. Der Anfang hat mich regelrecht abgeturnt: Was für eingebildete, herablassende Jungs sind das doch, die über Sokrates und Co. schwafeln und glauben, die Weisheit des Lebens gepachtet zu haben! Tony, der die Geschichte in der Ich-Perspektive erzählt, steht in Sachen Hochnäsigkeit seinen Kameraden in nichts nach, und war mir überhaupt nicht sympathisch.

Allerdings habe ich mir gesagt, dass diese Darstellung der Jugend durchaus zeitgemäß und passend ist. Uns ist es doch auch so gegangen. Wir haben geglaubt, uns gehöre die Welt, und uns ebenso naiv wie selbstverliebt über andere erhoben. Das half mir, diesen ersten Teil des Buches gut hinter mich zu bringen. Und das muss man Barnes lassen: Sprachlich ist das alles von Anfang an sehr geschliffen und schön.

Im Mittelteil habe ich mich dann gefragt, was das eigentlich soll. Tony erzählt rückblickend seine Lebensgeschichte, und die ist, nun ja, sehr gewöhnlich. Wo ist der Punkt? Wo die Botschaft? Das habe ich mich gefragt, und mich dabei ab und an an pointierten, weisen Erkenntnissen über das Leben an sich erfreut, die man gerne als Zitate irgendwo aufbewahrt.

Das Drama spielt sich dann im letzten Teil des Buches ab, und bis dahin ist es schon ein langer Weg gewesen. Und letztendlich erweist sich dieser Weg als weitestgehend gerechtfertigt. Denn was in Tony’s Erinnerung ein gewöhnliches, ereignisloses Leben war, ist in Wahrheit durchsetzt mit einer Tragik, die er ausgelöst hat. Nach und nach erfährt er bei seinen Zusammentreffen mit Veronica immer mehr über die Ereignisse, für die er zumindest eine Mitverantwortung trägt.

Der letzte Teil des Buches ist definitiv der fesselndste. Es plätschert nicht mehr nur erzählerisch hübsch und linear dahin, sondern die Geschichte bekommt neue Ebenen und Dimensionen. Vom ‚Zwiebelcharakter‘ des Buches wird schon mal gesprochen, und das entspricht den Tatsachen. Lage für Lage puhlt der Leser mit Tony die Schichten auseinander, um an den Kern des Ganzen zu kommen. Das übt Faszination aus und sorgt auch für Spannung.

Trotzdem konnten mich weder das Ende noch das Buch insgesamt wirklich begeistern. Die eigenartige Struktur war eine Geduldsprobe. Veronica hatte etwas nervig Mysteriöses an sich. Ab und an hätte ich sie gerne in Tony’s Namen mal so richtig geschüttelt, damit sie die Karten einfach auf den Tisch legt, anstatt dieses ganze Gewese zu veranstalten. Das war mir im Interesse eines literarischen Werkes zu künstlich in die Länge gezogen. Tony selbst gewinnt zwar zunehmend an Sympathie und Identifikationspotential, aber auch er war mir als Figur etwas zu abstrakt.

Zugegeben: In der Audioversion konnte ich mich der eleganten, fließenden Schönheit von Barnes‘ Sprache nicht entziehen. Da ist schon jemand am Werk, der weiß, wie man die englische Sprache benutzt, um ein literarisches Kunstwerk zu schaffen.

Das ist THE SENSE OF AN ENDING dann aber auch: ein Kunstwerk, ein literarisches Konstrukt. Und als solches hat es mich nicht wirklich berühren können.

Fazit:

Julian Barnes hat ein ungewöhnliches, sprachlich sehr schönes Buch geschrieben. Es geht um die Konsequenzen unserer Handlungen, und wie und ob man sich ihrer bewusst ist. Um das, woran man sich erinnert, und dass diese Erinnerung nicht notwendigerweise wahrhaftig ist. Es geht um die Anmaßung der Jugend und die Tragik des Erwachsenseins. Es geht um Schuld und um Vergebung. Das sind große, anspruchsvolle Themen.

Allerdings plätschert die Erzählung über weite Strecken dahin, ohne dass man ein Ziel erkennen kann. Vieles ist etwas zu mysteriös, zu abstrakt, zu überhöht. Ein bisschen fehlt der Bodenkontakt in der Geschichte. Das Ende ist spannend und überraschend, aber nur teilweise befriedigend. Letztendlich habe ich mich gefragt, ob THE SENSE OF AN ENDING eine Botschaft hat, die mich dieses Buch anderen Lesern weiterempfehlen lässt, und kann das nicht wirklich bejahen. Menschen machen Fehler, von denen sie oft gar nichts wissen, und die tragische Folgen haben können. Davon erzählt dieses Buch, auf eine schön zu lesende, philosophierende Weise. Aber so ist das im Leben. So ist das mit den Menschen. Und um das zu wissen, brauchte ich nicht unbedingt Julian Barnes.

Zum Sprecher:

Richard Morant ist ein sorgsamer britischer Sprecher, den ich mir sofort auf der Bühne im klassischen Theater vorstellen könnte. Sein Englisch ist sehr sauber, perfekt zu verstehen und fließt im Rhythmus der Sprache von Julian Barnes, als wäre Morant für diese Art von literarischem Roman geboren. Zu Beginn ging seine blasierte Anmutung mir etwas auf die Nerven. Die Arroganz der Jugend schwingt da in seiner Stimme mit, und die hochnäsige Bildung von englischen Privatschülern. Ich hätte beinahe eine Aversion gegen Morant’s Stimme entwickelt – bis mir klar wurde, dass der Sprecher den Tenor des Buchanfangs perfekt auf den Kopf trifft.

Tony als älterer Mann wird von Morant mit mehr Sanftheit, mehr Zurückhaltung vertont. Den Unterschied spürt man mehr, als man ihn hört. In Tony’s Ich-Erzählung schwingt immer mehr Niedergeschlagenheit mit, als ihm seine Schuld bewusst wird. Morant macht das alles sehr gut. Er kristallisiert sich als einer dieser graziös-feinsinnigen Sprecher heraus, die mit winzigen Nuancen arbeiten, anstatt mit auffälligen Verstellungen und Lautstärken.

Eine perfekte Symbiose zwischen Geschichte und Sprecher.

Bewertung: 6/10

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