Titel: ‚The Invisible Ones‘
(noch nicht auf deutsch veröffentlicht)
Autorin: Stef Penney
Sprache: Englisch
Format: Hardcover, hier: gewonnen bei www.bookpage.com
Länge: 416 Seiten
The rain comes on again, harder than before, then harder still, and the wind gets up, scudding and punching against the car as I near Bishop’s Waltham. The streaming tarmac shimmers like blood under the brake lights.
Why, tonight, do I keep thinking about blood?
Kurzbeschreibung (von amazon.de):
Als Rose den attraktiven Ivo Janko heiratete, wurde sie Teil einer fahrenden Romafamilie. Jeder fragte sich damals, ob die Beziehung zwischen der schüchternen Rose und dem charismatischen Ivo funtionieren würde. Bis zu dem Tag als Rose spurlos verschwand. Ihrem Vater läßt ihr Verschwinden keine Ruhe und er engagiert nach 7 Jahren ohne ein Lebenszeichen seiner Tochter den Privatdetektiv Ray Lovell. Doch die einzigen Menschen, die ihm bei der Suche helfen könnten, sind die Jankos und die sagen kein Wort.
Zum Buch:
Der Hammer – zum aller ersten Mal in meinem Leben gewinne ich etwas, und es sind..tada… Bücher! Auf http://www.bookpage.com gab’s drei zufällige Neuerscheinungen zu gewinnen, und so flatterte mir u.a. THE INVISIBLE ONES per Luftpost ins Haus. Davon hatte ich schon im Netz gehört, und das Thema ‚Roma‘ versprach interessantes Neuland, also tauchte ich ein:
Ray Lovell, Privatdetektiv und halb Roma, liegt zwischen Delirium und Wachen im Krankenhaus. Größtenteils gelähmt und ohne Erinnerung, was passiert ist, nimmt er uns mit an den Anfang der Ereignisse und auf die Suche nach der Wahrheit.
Diese Suche beginnt mit einem Ermittlungsauftrag. Ray soll im Auftrag des Vaters eine Frau finden, die vor Jahren verschwand, nachdem sie in eine Zigeunerfamilie eingeheiratet hatte. Rose, so heißt es, verließ fluchtartig ihren Mann Ivo Janko, weil sie ein Leben mit ihm und ihrem von einer familiären Erbkrankheit schwer betroffenen Sohn Christo nicht ertragen konnte. Soweit zumindest die Aussage der Jankos.
Ray’s Ermittlungen gestalten sich schwierig. Die verschlossenen Jankos, die mit ihren Trailern abseits der Stadt ein Dauerlager aufgeschlagen haben, verhalten sich abweisend und mißtrauisch. Obwohl Ray’s Vater ebenfalls ein Roma war, kommt der Detektiv nur langsam voran. Ungereimtheiten tauchen auf, neue Fragen, und bei Bauarbeiten in der Nähe findet man plötzlich eine Leiche. Ray vermutet, dass es sich dabei um die verschwundene Rose handelt. Als er der Wahrheit näher zu kommen glaubt, erwacht er plötzlich im Krankenhaus (hier wechselt die Erzählung in die Jetzt-Zeit). Ist er von einem der Jankos vergiftet worden?
Stur lässt Ray sich nicht von seinen Nachforschungen abhalten, aber er muss sich noch länger durch ein Netz aus Geheimnissen und Lügen schlagen, bis die erstaunliche Lösung des Falles offen liegt.
Teil der Zigeunerfamilie ist auch der 14jährige JJ, dessen Erzählperspektive sich mit der von Ray abwechselt – eine Methode, die geschickt beide Seiten der Geschichte ausleuchtet, ohne zu viel zu verraten. Der kluge JJ ist ebenso dem Leben im Wohnwagen verhaftet, wie er es oft hasst, dadurch ein Außenseiter zu sein. Im Umgang mit seinen Mitschülern, den Lehrern, und vor allem den Mädchen zeigt sich schmerzhaft, wie er als Roma gesehen wird: Die Erwachsenen sind voller Berührungsängste, Vorurteile und Mitleid; die Mädchen, die ihn in der Schule nicht einmal anschauen, betrachten ihn privat als spannendes Abenteuer. Auch für JJ wird die Suche nach der Wahrheit hinter Rose’s Verschwinden unerwartet zur schmerzhaften Offenbarung.
THE INVISIBLE ONES ist schwer zu kategorisieren. Penney selbst klassifiziert es als ‚book noir‘.Für einen Krimi tritt der eigentliche Fall hinter dem Thema ‚Roma‘ und der verschachtelten Familiengeschichte der Jankos zu sehr in den Hintergrund. Für einen Roman dagegen ist das Whodunit-Element dann wieder zu deutlich. Dazu kommt noch ein leichter Hauch ‚Mystery‘, wenn es um Zigeuner-Legenden, Shamanen und Flüche geht. Ein nicht auf ein Label reduzierbarer Mix also.
Die ganze Geschichte zieht sich etwas. Zusammen mit Ray hat man das Gefühl, dauernd gegen Wände zu rennen und keinen Schritt weiter zu kommen. Viele Dialoge bleiben ergebnislos. Das macht sie nicht überflüssig, aber man ist dauerhaft etwas frustriert darüber, auf der Stelle zu treten, so wie Ray.
Der ist übrigens eine Hauptfigur, die man mögen kann. Wieder einmal haben wir hier einen geschiedenen, depressiv erscheinenden Ermittler, der seinen Job gut macht, im Privatleben aber keinen Fuß mehr vor den anderen kriegt (Gibt’s eigentlich irgendwo in der Literatur noch glücklich verheiratete Cops mit sonnigem Gemüt? Gab’s die jemals??). Ray’s ungeschickte Annäherungsversuche mit JJ’s Tante Lulu haben etwas fast Erbarmungswürdiges an sich.
Mehr erwartet hatte ich mir von der Kombination Ray/JJ. Als die Wege der zwei sich kreuzen, hat das wenig Konsequenzen, obwohl die beiden doch viele Gemeinsamkeiten haben. Da hätte Penney mehr draus machen können, als die beiden nur für unterschiedliche Perspektiven zu nutzen.
Das Interessanteste an der Erzählung (und als solche würde ich THE INVISIBLE ONES letztendlich einordnen) ist die Kultur der modernen, britischen Roma, und ihr Verständnis von und Umgang mit Familie. Das Wort ‚Clan‘ bekommt hier wieder eine echte Bedeutung; Reinblütigkeit spielt eine verblüffend große, in diesem Fall tragische Rolle; Liebe und Hass tun in diesem engen Verbund noch größere Abgründe auf als in anderen Familien. Der Einblick in das Leben der ‚Romanies‘ war für mich etwas ganz Neues und Lehrreiches, und im Video unter diesem Artikel sagt Penney, sie habe über mehr oder weniger zehn Jahre hinweg recherchiert, also kann man von grundsätzlicher Authentizität ausgehen. Das finde ich bei solchen kulturell verankerten Büchern, die nicht von einem ‚Insider‘ geschrieben werden, enorm wichtig.
Am Schluss besinnt sich die Geschichte darauf, als kriminalistisches Rätsel begonnen zu haben, und es gibt eine Auflösung, die ich gar nicht vorhergesehen hatte. Clever überlegt, und im Nachhinein fallen einem dann auch ein paar Puzzlestücke ein, die man hätte sehen können, so man denn nicht in einer ganz anderen Denkrichtung unterwegs gewesen wäre. Ein echter ‚murder mystery‘-Abschluss also. Und sowohl Ray als auch JJ bekommen auch noch ein rundes Ende mit Zukunft. Schön, dass die wichtigsten Dinge nicht einfach offen gelassen werden, wie das heute häufig der Fall ist.
Fazit:
Eine geheimnisvolle, in der Kultur der britischen Roma angesiedelte Krimi-Erzählung, die sich viel Zeit nimmt. Die Lebensweise der Zigeuner spielt die eigentliche Hauptrolle, und der Kriminalfall ist über weite Strecken zwar präsent, aber letztendlich nur der Aufhänger für eine verzwickte, teils tragische Familiengeschichte. Es geht um das ‚anders‘ sein dieser Bevölkerungsgruppe, um ihre Familientraditionen und -geheimnisse, und wie sie sie bewahren – ob das gut für sie ist oder nicht. Ray Lovell, der traurig-sture Ermittler, bekommt selbst als halbblütiger Roma nur schwer Zugang zur Geschichte der Jankos, und seine stockenden Ermittlungen sorgen für ein recht schwerfälliges Vorwärtskommen des Buches.
Aber als schneller Thriller ist THE INVISIBLE ONES auch nicht angelegt, das merkt man schnell. Es braucht etwas Geduld und ein Interesse für das Thema, um nicht das Meckern anzufangen. Ein paar ‚Schlaglöcher‘ in Sachen Plausibilität gibt es hier und da, und nicht alle Hauptfiguren können ihr Potential entfalten. Dafür bekommt man einen erhellenden Einblick in die Welt der britischen Zigeuner (und diese Bezeichnung ist hier keinesfalls als Schimpfwort zu sehen – im Buch bezeichnen Ray und die Jankos sich selbst so!), und eine ruhige, atmosphärische Erzählung mit einem unerwarteten Schluss, die sich auch sprachlich gut durchlesen lässt.
Bewertung: 6/10
Hier ist ein interessantes Interview mit der Autorin: