
Manchmal findet dich ein Buch oder eine Serie zum richtigen Zeitpunkt in deinem Leben. Manchmal nehmen dich fiktionale Figuren in den Arm. Und manchmal heulst du beim Lesen der letzten Seite oder beim Schauen der letzten Folge Rotz und Wasser in deinen Tee.
Mir ist das schon ein paar Mal passiert in meinem Leben. Mit Jack Bauer in „24“, mit den Musketieren in Alexandre Dumas‘ unsterblichen Romanen. Und jetzt wieder mit Sam und Dean Winchester in „Supernatural“.
Vor ein paar Tagen habe ich die letzte Folge von „Supernatural“ geschaut, und das Ende hallt nach. Ich habe die Serie spät entdeckt, eigentlich zu spät: Sie lief von 2005-2020, über 15 Staffeln mit 327 Folgen. Nachdem mir auf Tumblr immer wieder ein Meme in die Timeline gespült wurde, gab ich der paranormalen Mystery-Reihe um zwei Monster-jagende Brüder erst Anfang 2023 eine Chance – und tauchte in einen monatelangen Binge ein, aus dem ich erst jetzt wieder aufgetaucht bin.
Worum geht’s in „Supernatural“?
Vampire, Geister, Werwölfe und andere Monster – sie existieren wirklich. Das wissen – im Gegensatz zur normalen Bevölkerung – die beiden Brüder Sam und Dean Winchester, seit ihre Mutter, als sie noch klein waren, von einem Dämon umgebracht wurde. Ihr Vater, John, zog sie deshalb als „Jäger“ auf und reiste mit ihnen quer durch Amerika, Monster jagend, stets auf der Suche nach dem dämonischen Mörder ihrer Mutter.
Inzwischen Anfang zwanzig, hat Sam sich von seiner Familie losgesagt und studiert in Stanford, als eines nachts sein großer Bruder Dean auftaucht: Der Vater ist von einer „Jagd“ nicht zurück gekehrt, und Dean bittet Sam, ihm bei der Suche zu helfen. Widerwillig lässt Sam sich von Dean überreden. Auf der Suche stoßen sie auf einen „Fall“: Ein Geist – eine „Frau in Weiß“ – bringt in einer kleinen Stadt als Anhalterin Männer um. Die Brüder machen sie gemeinsam unschädlich, finden Hinweise auf den Aufenthaltsort des verschwundenen Vaters, und eigentlich will Sam danach an die Uni zurückkehren. Dann jedoch geschieht etwas, das niemand vorhersehen konnte, und Sam ändert seine Meinung…
In den folgenden 15 Staffeln werden die Winchester-Brüder in einem sich immer weiter öffnenden Kosmos Monster von immer größerer Tragweite jagen und zum Spielball des Schicksals werden, in einer Parallele zur biblischen Kain-und-Abel-Geschichte und weit darüber hinaus. Es wird um Brüder gehen, um Liebe, Leben und Tod, um Himmel und Hölle, um die Rettung der Welt und um „family don’t end with blood“, als sich Sam und Dean weitere Figuren an die Seite stellen. Bis am Ende… tja. Darum soll’s hier eigentlich gehen. Das Ende.
Achtung: ab hier SPOILER für das Serienfinale von Supernatural und vorausgehende Staffeln!!!
15×18: „Verzweiflung“ in mehrfacher Hinsicht
Das Ende fängt eigentlich schon in der drittletzten Folge an: 15×18, „Despair“ (dt. „Verzweiflung“) hatte einen derartigen impact, dass der Tag der Ausstrahlung (der 5. November) bis heute vom Fandom als eine Art „Gedenktag“ begangen wird. Warum?
In Staffel 4 wurde mit dem Engel Castiel eine neue Figur eingeführt, deren Bedeutung den Serienmachern wohl selbst nicht klar war. Die Fans verliebten sich in den Trenchcoat-tragenden „Cas“, der Dean zunächst aus der Verdammnis errettet und sich im Laufe der folgenden Staffeln vom charismatischen, aber distanzierten Soldaten Gottes zum Fan der Menschheit entwickelt und gegen die Pläne seines Schöpfers auflehnt. Seine Beziehung zu Dean ist von Beginn an eine besondere, und es dauerte nicht lange, bis die Fans Dean und Castiel als Paar zu „shippen“ begannen.
Die Serienmacher wiesen jedes romantische Verhältnis zwischen Cas und Dean weit von sich, überkompensierten Dean’s Figur sogar als extrem viril und heteronormativ gezeichnet. Und dennoch: Das Ship war losgesegelt, und selbst den neutralsten Kritiker*innen konnten die bedeutungsschwangeren Blicke zwischen den beiden, die anschwellende Musik bei ihren Begegnungen und die eingeflochtenen Zeilen von „a more profound bond“ bis hin zu einem niedergeknieten „I need you“ nicht mehr entgehen.
In 15×18 geschah, worauf die Fans nur in ihren kühnsten Träumen gehofft hatten: „Destiel“ wurde canon. Zumindest von Castiel’s Seite aus, der Dean in einer herzzerreißenden Szene seine Liebe gesteht. (Über Dean’s Gefühle für Cas kann man dagegen weiterhin diskutieren; die Interpretationsmöglichkeiten reichen von „bester Freund“ über „Bromance“ bis hin zu Dean als verkapptem Bisexuellen, der sich – vielleicht oder auch nicht – seine Gefühle für Castiel zu spät eingesteht.)
Denn fürchterlicherweise ist es zu spät: Direkt nach seinem Liebesgeständnis opfert Castiel für Dean sein Leben:
Die Fans schrien nach der Ausstrahlung der Folge auf. Die sozialen Netzwerke brachen am 5. November 2020 beinahe unter der Last der Postings zusammen. Man feierte „Destiel is canon“ – und empörte sich gleichzeitig über „bury your gays“ – die Unsitte, schwule Figuren in Fernsehserien abzumurksen und damit loszuwerden. Doch es blieb Hoffnung: Schon oft wurden in „Supernatural“ Figuren, die das Zeitliche gesegnet hatten, wieder zum Leben erweckt. Vielleicht auch Castiel?
Leider nein.
Ich wusste schon, das das nicht passieren würde, als ich vor ein paar Tagen dann auch endlich heulend Castiel’s Geständnis ansah und Dean’s Schock und Verzweiflung geradezu körperlich fühlte, als er einsam und verzweifelt auf dem Boden des „Men of Letters“-Bunkers zurückblieb und sein Gesicht in seinen Händen vergrub. Ich wusste das aus den unzähligen Spoilern, denen ich nicht hatte entgehen können. Und konnte mir deswegen für die letzten beiden Folgen eine etwas dickere Haut zulegen – dachte ich.
Brotherhood vs. Destiel
Für mich war das zentrale Element der Serie immer das der beiden Brüder. Das hatte mich unaufhaltsam angezogen. (Und um’s ganz deutlich zu sagen: Mit “Wincest” – also einer inzestuösen Beziehung zwischen Sam und Dean – hat das NICHTS zu tun. Das finde ich einfach nur… ew!) “Brotherhood“ – damit war ich vertraut, zuletzt aus den Musketier-Romanen, die ja die größte Bromance aller Zeiten zelebrieren. Sam und Dean’s eingeschworene, von Konflikten immer wieder auf die Probe gestellte aber letztlich unerschütterliche Bruderschaft hatten die Serienmacher als Aufhänger für die Serie benutzt. Sie hatten die biblische Parallele zu Kain und Abel benutzt und die beiden sogar in Form von Luzifer und dem Erzengel Michael einander gegenüber gestellt. Der intellektuelle, emotionale Sam und sein tougher, cooler großer Bruder Dean – vom Vater auf die ultimative Beschützerrolle eingenordet – waren wunderbar gegensätzlich und durchliefen im Verlauf der Serie eine Figurenentwicklung, wie sie heutzutage in den Mini-Serien mit einer Handvoll Staffeln gar nicht mehr möglich ist.
Mich hat das fasziniert. Mich hat das abgeholt. Gerade Dean, der sich trotz schwerster Traumata und größter Schicksalsschläge nicht unterkriegen lässt und sich immer wieder gegen Vorherbestimmung und einen bestenfalls gleichgültigen, schlimmstenfalls grausamen Gott auflehnt, wurde zu meiner persönlichen Identifikationsfigur. Die Serie hat mich zu einer Zeit gefunden, in der ich mir selber vorkomme wie der Punchingball des Universums, und Dean als Stehaufmännchen unter unerträglichen Bedingungen ist schnell zu meinem comfort character geworden.
Trotz allen sehr offensichtlichen Schwächen der Serie wie z.B. schlechten Special Effects und eines sichtlich zu niedrigen Budgets, trotz einer zunächst geradezu schändlichen Behandlung weiblicher Figuren, trotz irgendwann ausgelutschter Plots, Unglaubwürdigkeiten und so mancher schlechter Skript-Entscheidung: „Supernatural“ hat für eine einfache Network-Serie viel Tiefgründigkeit und unvergessliche Hauptfiguren, die von Darstellern gespielt werden mit mehr als nur Muckis und einem attraktiven Gesicht. (Dass vor allem Jensen Ackles für seine schauspielerische Leistung nie einen Emmy bekam, ist allein der Verachtung für Network-Serien geschuldet; er hätte es mehr als verdient gehabt.)
Über 15 lange Jahre konnten die Figuren lange und komplexe Handlungsbögen und charakterliche Weiterentwicklung vollziehen. So wurden die dysfunktionalen Familienbeziehungen zwischen Kindern und Eltern ebenso aufgedröselt wie die an Co-Abhängigkeit grenzende, symbiotische Bruderbeziehung von Sam und Dean.
Die Monsterjagd beginnt als gruselig-spannende Reise durch die urban legends der USA und spannt dann einen weiten Bogen zu globaler Folklore und westlicher christlicher Mythologie. Es ist ein Road Trip durch Americana unterlegt mit Classic Rock aus den Lautsprechern von Dean’s ’67 Chevy Impala.
Für mich war – im Gegensatz zu vielen Fans – also „Destiel“ nicht das Entscheidende. Ich hatte Cas und Dean tatsächlich lange als platonische Bromance betrachtet. Ich war in die Serie gegangen mit dem Eindruck, dass hier wiedermal Fans etwas in eine Serie hinein interpretieren wollten, was nicht wirklich da war. Aber das war es! Die letzten Staffeln bekehrten mich dann auch, und auch ich wünschte mir in 15×18, dass Dean Castiel’s „I love you“ hätte erwidern können. (Obwohl ich verstehe, dass er es in dem Moment nicht konnte. Das war für ihn alles zu überwältigend, und Dean hätte mehr Zeit gebraucht, um sich seiner Gefühle für Castiel klar zu werden und sie dann auch noch ausdrücken zu können – in welche Richtung auch immer es dann gegangen wäre.)
Ich ging in die letzten zwei Folgen mit dem Wissen, dass Castiel nicht mehr auftauchen würde, und hatte kein großes Problem damit, mich auf das ursprüngliche Herz von „Supernatural“ – die beiden Brüder – zu konzentrieren. Trotzdem war ich sprachlos, als Dean’s Schock und Trauer in den letzten Folgen einfach zur Seite gewischt und Castiel’s Geständnis überhaupt nicht mehr thematisiert wurden. Klar, Dean musste sich zusammenreißen, um den Kampf gegen Gott zu gewinnen und ein letztes Mal mit Sam die Welt zu retten. Aber wir hatten ihn in vorausgegangenen Staffeln schon einmal in Trauer um Castiel erlebt, und die hatte er trotz weiter laufender Weltrettung durch alkoholgetränktes, selbst-destruktives Verhalten gezeigt, das an Todessehnsucht grenzte. Er hatte Gefühle gezeigt. Sich verändert. Wo war dieser Dean jetzt? Wo waren die Konsequenzen aus 15×18?
Serienmacher vs. Fans
Wenn man sich mit der Serie mehr auseinandersetzt, sieht man recht deutlich, dass zwar sowohl die Serienmacher als auch die Fans mit großem Herzen an der Serie hingen (und immer noch hängen), aber ein sehr unterschiedliches Bild davon im Kopf hatten. Die Produzent*innen und Autor*innen wollten ganz klar eine Serie machen, die ein heteronormatives Publikum bedient, mit zwei stattlichen Protagonisten, denen das männliche Publikum nacheifert und das weibliche hinterherschmachtet. Dass ausgerechnet derjenige der zwei Brüder, der extrem maskulin und geradezu chauvinistisch auftritt, im Laufe der Zeit zu einer Identifikationsfigur für das queere Fandom wurde, hatte man nicht geahnt, und dagegen hat sich der produzierende Sender, CW, auch bis zuletzt gewehrt.
Dass die Fans dennoch Castiel’s Geständnis bekamen, ist ein überraschendes, zögerliches Zugeständnis an die Zuschauerschaft. Das ist mit Sicherheit auch einigen wenigen Destiel-Shippern im Schreiber-Team der Serie und Schauspieler Misha Collins (Castiel) zu verdanken. Nachdem auf Conventions die Diskussion über „Destiel“ von oben unterbunden wurde und während der Serienausstrahlung auch die Schauspieler keine Äußerungen dazu machten (oder machen durften?), hat sich Misha Collins inzwischen als größter Destiel-Shipper erwiesen und propagiert offen: „Cas is gay.“ Man beugte sich in 15×18 offenbar unwillig dem progressiven Druck von außen – um das kleine, queere Zugeständnis in den letzten zwei Folgen der finalen Staffel dann einfach wieder weg zu ignorieren.
Das ist mehr als schade und hat zu recht viele Fans wütend gemacht. Natürlich sollte nicht jede Serie den Fans nach dem Mund reden. Aber „Destiel“ entstand organisch, aus der Serie heraus, und dieses ship zum canon zu machen, um es dann sofort wieder zu negieren, war unklug und feige, ein Bruch mit der continuity und Figurenentwicklung, und eine große vertane Chance für queere Repräsentation. Ganz egal, ob Dean Castiel’s romantische Liebe erwidert hätte oder nicht: „Supernatural“ hätte eine Lanze brechen können und hat das letzten Endes bewusst nicht durchgezogen. Schade. Sehr schade. Der bittere Nachgeschmack wird bleiben.
Apropos bitter: Die allerletzte Folge, „Carry On“, heizte die Diskussionen um „Supernatural“ dann noch einmal an und wird von vielen einfach als nicht existent geleugnet – auch wegen Destiel, aber vor allem wegen dem, was in 15×20 mit Dean geschieht. Aber das ist einen eigenen Artikel wert, und davon erzähle ich beim nächsten Mal.
Und du? Kennst du „Supernatural“? Was hältst du von den finalen Folgen der Serie? Wie sieht du das mit „Destiel“? Sag‘ mir deine Meinung!
Ich kenne die Serie nur dem Namen nach, aber Dein Post hat mir gerade richtig Lust gemacht, mir doch mal die ersten paar Folgen anzuschauen :)
Hallo Herba!
Wenn du die Serie wirklich anfängst, kann ich dir nur raten, auf jeden Fall ein paar Folgen dran zu bleiben. Es dauert so drei, vier Folgen, bis man anfängt, einen Blick hinter die Fassaden von Sam und vor allem Dean zu bekommen (über den ich zu Beginn nur die Augen rollen konnte).
Ein langer Atem lohnt sich hier! Und sag mal Bescheid, wie du’s findest!
LG,
Ute
Danke Ute, das behalte ich auf jeden Fall im Hinterkopf.
Und ja klar, das mache ich. Ich muss nur auf jeden Fall erstmal mein anderes Serienprojekt beenden, da hab ich noch 4 Staffeln vor mir.
Liebe Grüße zurück!
Welche Serie guckst du denn gerade?
Ich schau mich gerade durch ‚Justified‘