Titel: Nordische Mythen und Sagen
Autor: Neil Gaiman
aus dem Englischen von: André Mumot
Format: Taschenbuch, broschiert
Verlag: eichborn
erschienen: 30.09.2019
Länge: 253 Seiten
Inhaltsangabe:
Neil Gaiman, genre-sprengender Autor mit einem Faible für Mythologie, nimmt uns mit in die Welt der nordischen Götter und der Sagen, die sich um sie ranken: Vom Allvater Odin über den Trickster-Gott Loki bis hin zu Thor mit seinem berühmten Hammer erfahren wir vom Ursprung der Welt bis hin zu ihrem Untergang, wenn Raganarök, die letzten Tage, anbrechen.
Zum Buch:
Zwei Fandoms wird diese charmante Nacherzählung nordischer Mythologie magisch anziehen: Diejenigen, die schon immer fasziniert waren von altertümlichem Götterglaube – sei es Zeus bei den Griechen oder Odin bei den Skandinaviern; und Leser von Neil Gaiman, diesem Wandler zwischen den literarischen Welten.
Bei mir – hurrah! – trifft gleich beides zu!
Nachdem ich Neil Gaiman’s literarisches Universum mit seinem Sammelsurium aus Sagenfiguren aller Welt schon seit vielen Jahren zu schätzen weiß und schon als Kind wusste, dass der Donnerstag nach dem Donnergott Thor benannt wurde, wunderte ich mich kein bisschen, als Neil (in meinem Kopf sind wir per du und trinken regelmäßig einen Tee zusammen) eine Nacherzählung der nordischen Sagen veröffentlichte. Wurde eigentlich auch Zeit!
Er geht dabei gewissenhaft vor: Es gibt nicht nur ein stimmungsvolles Vorwort darüber, wie und warum dieses Buch entstand, sondern auch eine kurze Vorstellung der wichtigsten „Spieler“ sowie ein sehr hilfreiches Glossar am Schluss. Und das Ganze läuft chronologisch ab: Wir erfahren, wie aus dem Nichts die Welt entstand und unter dem Lebensbaum Yggdrasill die neun verschiedenen Reiche mit ihren illustren Lebewesen wie Göttern, Drachen, Schlangen und Riesen mit allerlei magischen Werkzeugen florieren.
In leichter Sprache mit kurzen Sätzen gehalten und in kurze Kapitel unterteilt, knallt uns Neil viele Namen um die Ohren und berichtet von Wesen, die trotz Götterstatus allzu menschlich erscheinen. Da wird gelogen und betrogen, da wird geliebt und gehasst, und es läuft wirklich wenig nach Plan. Und sollte es dochmal so laufen wie angedacht, funkt garantiert Loki dazwischen und bringt alles durcheinander.
Da gibt es Kapitel, die aufgrund der vielen Figuren etwas überfordern. Und Kapitel, wo die Handlung im Stakkato abgehandelt wird und innerhalb weniger Sätze gestorben, gereist, geliebt, sich verwandelt wird und sonstwas alles passiert, so dass man a) nicht mitkommt und b) sich etwas mehr Details und Ausschmückung wünscht.
Aber dann gibt es auch Kapitel, die einfach nur diebischen Spaß machen. Das sind die Geschichten, die sich um Neil’s offensichtliche Lieblingsfiguren im Götterreigen ranken: Odin, Thor und Loki. Hier wird die Sprache etwas doppelbödiger, hier kommen Witz und Charme ins Spiel, und ein liebevolles Necken der alles andere als perfekten Gottheiten. Ob Odin, der zum Herumpoltern neigt und den ganzen Götter-Haufen zusammenhalten muss; ob Thor, der nicht unbedingt die hellste Kerze auf der Torte ist, aber ständig mit seinem tollen Hammer irgendwo draufhauen will; oder Loki, der alles hinters Licht führt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist und sich dabei selbst in die größten Nöte bringt: Sie sind die Stars des Buches, und das Herz der ganzen Angelegenheit.
Neil Gaiman schafft es in den besten Kapiteln, die rohe Gewalt der Götter und ihre grausigen Strafen mit der richtigen Prise Humor zu verbinden. Man schmunzelt. Und lernt natürlich dabei: So geballt gibt es selten eine Lehrstunde über nordische Mythen und Sagen. Und schon mal gar nicht so unterhaltsam. Neil versucht sogar, die weiblichen Figuren aus den Sagen ein bisschen ins Rampenlicht zu rücken – muss sich aber letztlich den spärlichen Originalquellen beugen. Er will schließlich nacherzählen, nicht neu dazu erfinden.
Sprachlich wirkt das simpel, und mir fehlt ein bisschen die Finesse, die der gute Neil in seinen anderen Werken ansonsten drauf hat. Die Geschichten kommen mir insgesamt sehr rudimentär erzählt vor, fast nur wie ein grobes Gerüst. Allerdings ist das ja auch so: Wenig ist erhalten geblieben von den ursprünglichen Edda-Versen, die Grundlage der Nacherzählung sind. Und noch einen wichtigen Grund mag es für die Spärlichkeit geben: Direkt in der Einleitung wünscht sich Neil, dass wir die Geschichten nehmen und weiter erzählen. Dass wir in einer langen Nacht den Neugierigen berichten, wie das war, „als Thors Hammer gestohlen wurde, oder wie Odin den Göttern den Met der Dichtkunst verschaffte.“ Und dabei kann man dann wunderbar die eigene Fantasie spielen lassen und die alten Sagen – je nach Zuhörer und Bedarf – passend ausdehnen und ausschmücken.
Fazit:
In einfacher Sprache, bewusst reduziert auf den Inhalt der wenigen vorhandenen Quellen, erzählt Neil Gaiman mit Schalk im Nacken die nordischen Sagen nach. Manchmal sind das zu viele Namen, manchmal ist das zu rudimentär, aber in den besten Kapiteln rund um Odin, Thor und Loki voller Witz und Charme. Für alle, die ein Herz für die nordischen Götter haben und mehr wissen wollen, eine kurzweilige, flotte Lektüre.
Bewertung: 7 von 10 Punkten
Ein Rezensionsexemplar wurde mir vom Verlag im Gegenzug für eine ehrliche Rezension zur Verfügung gestellt.