Drama, baby! „A Long Fatal Love Chase“ von Louisa May Alcott

Titel: A Long Fatal Love Chase
Autorin: Louisa May Alcott
Sprache: Englisch
Format: Taschenbuch
Verlag: Dell
erschienen: 02.12.1996
Länge: 368 Seiten

Louisa May Alcott kennt ihr. Sie hat den wunderschönen Roman „Little Women“ geschrieben, einen amerikanischen Klassiker über eine Familie und die Lebenswege ihrer Töchter. Sie hat aber auch noch etwas ganz anderes geschrieben! Und zwar 1866 eine melodramatische, mit Cliffhängern gespickte Stalking-Geschichte, die als Fortsetzungsroman gedacht war, jedoch zu ihren Lebzeiten nie veröffentlich wurde, weil die Geschichte als zu „heikel“ galt. Verfasst, um ihrer Familie zu helfen, sich finanziell über Wasser zu halten, wurde „A Long Fatal Love Chase“ erst 1994 wieder entdeckt und 1995 erstmals veröffentlicht. Ein langer Weg für ein aufregendes, unerwartetes pulp fiction Romänchen einer geliebten Autorin, die man darin von einer ganz anderen Seite kennenlernt!

Die Geschichte:

Die junge Rosamund lebt mit ihrem griesgrämigen Großvater in einem abgelegenen Ort der USA. Da schwebt der ältere, gutaussehende, reiche und welterfahrende Phillip Tempest ein. Rose verguckt sich in ihn, er sich in sie, und er nimmt sie mit in die große weite Welt. Bald stellt sich aber heraus, dass Tempest ein besitzergreifender Fiesling ist, der auch vor Betrug und Gewalt nicht zurückschreckt. Rose flieht vor ihm, quer durch Europa, wird aber von Tempest verfolgt und immer wieder aufgespürt. Zur Seite steht ihr der gutherzige Pater Ignatius, der mit allzu weltlichen Gefühlen für die junge Dame kämpft. Es kommt schließlich zu einem dramatischen, eskalierenden Ende.

Große Gefühle, leicht überzogen

„A Long Fatal Love Chase“ (auf Deutsch als „Die Gefangene von Valrosa“ erhältlich) liest sich genau so, wie es angedacht war: Als atemloser, übertriebener, leidenschaftlicher Fortsetzungsroman voller großer Gefühle. Die Geschichte springt von einem Ort zum nächsten, kettet dramatische Ereignisse aneinander, füllt Szenen aus mit schmachtenden Blicken, unheilvoller Düsternis und unverholenem Melodrama. Das ist manchmal so überzogen, dass man das – zumindest aus heutiger Sicht – nicht ernst nehmen kann. Ich musste mehrfach laut auflachen – hatte allerdings Spaß dabei. Viele Klassiker sind blumig geschrieben, und der hier ist es auch. Darin kann man mit einem Schmunzeln gut schwelgen.

Gothic, Thriller und leidvolle Liebe

Es wird aber auch düster zwischendurch. Das Stalking-Thema ist überraschend bedrohlich und lässt einen beim Lesen nicht zur Ruhe kommen. Ein bisschen einen auf „gothic novel“ macht Alcott dabei auch. Früher hätte man sowas bestimmt als finsteren Thrillerstoff angesehen. Und es wird ebenso berührend. Besonders der arme Pater Ignatius sorgt mit seinen mühsam unterdrückten Gefühlen, seiner Sehnsucht und seinem heroischen Herzen im letzten Viertel des Romans für anrührende Momente.

Eine junge, starke Frau als Heldin

So anders als „Little Women“ dieser kleine Roman auch ist, etwas erinnert doch daran. Wieder macht Alcott eine willensstarke junge Frau zur Titelfigur, die sich durchboxt. Rose ist zwar zu Beginn naiver und auch nicht so klug wie Jo, mausert sich aber und lässt sich nicht unterkriegen. Sie reift und erkämpft sich tapfer immer wieder ihre Freiheit.

Ein bodice ripper, der keiner ist

Interessant, dass das Buch immer mal als historischer „bodice ripper“ angesehen wird, also als Sex-Romänchen. Dabei kommt keine einzige Sexszene darin vor! Glühende Leidenschaft – das ja. Es wird geschmachtet, dass sich die Balken biegen, es wird in Ohnmacht gefallen und ewige Liebesschwüre werden über zitternde Lippen gebracht. Mal ein Kuss. Schlüpfriger wird’s aber nicht. Das muss man alles der Phantasie in den Leerzeilen zwischen den kurzen, knackig knappen Kapiteln überlassen.

Fazit:

Glühende pulp fiction einer beliebten Klassiker-Autorin, von der wir bisher mit „Little Women“ nur die beschaulich-unterhaltsame Seite gesehen haben. Zwar bekommen wir es auch in „A Long Fatal Love Chase“ mit einer aufmüpfigen jungen Frau als Heldin zu tun, aber in einer düster-melodramatischen Geschichte voller großer Gefühle und einem – für jene Zeiten – geradezu rasanten Plot. Das ist für unsere Geschmäcker schon mal heillos übertrieben und auch nicht besonders tiefgründig, aber allemal von großem Unterhaltungswert. Und zeigt: Klassiker müssen weder hochtrabend noch langweilig sein, und man kann einen solchen auch ohne jedes Kopfzerbrechen verschlingen wie eine Box voller zuckriger Donuts.

Bewertung: 7 von 10 Punkten

2 Gedanken zu “Drama, baby! „A Long Fatal Love Chase“ von Louisa May Alcott

  1. Kathrin 30. Mai 2019 / 20:32

    Auf Twitter hatte ich ja schon gemerkt, wie viel Spaß dir der Roman macht – und auch in deinem Artikel spürt man das in jeder Zeile. Ich staune immer noch ein wenig über diese ganz andere Seite von Louisa May Alcott, bin aber weiterhin sehr angefixt und muss mir das Buch unbedingt auch noch gönnen.

    Wie bist du eigentlich auf den Roman gestoßen?

    • papercuts1 30. Mai 2019 / 20:35

      Der Tipp kam von einer verwandten Buchseele auf Twitter, die wie ich gerne schmachtende Klassiker liest und mir das empfohlen hat. Ich fand’s unglaublich unterhaltsam!

Schreib' einen Kommentar!

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..