Sprache. Liebe. Vergangenheit. Seele. Alles rauscht.

Das Rauschen in unseren Köpfen von Svenja GräfenTitel: Das Rauschen in unseren Köpfen
Autorin: Svenja Gräfen
Verlag: ullstein fünf
erschienen: 7.4.2017
Länge: 240 Seiten

Studentin Lene, die mit ihrer besten Freundin in einer WG wohnt, trifft Hendrik. Die Beziehung, in die die beiden fallen, ist intensiv und rauschhaft. Lene malt sich eine gemeinsame Zukunft aus. Doch Henrik schleppt ein dunkles Stück Vergangenheit mit sich herum, und die Dunkelheit macht sich in ihm breit und drängt sich in die Beziehung mit Lene.

Alles rauscht

Der Buchtitel ist Programm: Schon die ersten Kettensätze, voller Aufzählungen, ohne Konjunktionen, bewusst aneinandergelegt wie Karten, machen klar, dass dieser Roman schon allein sprachlich rauschen wird. Da muss man sich als Leser entscheiden: Mag ich das? Kann ich mich in die Geschichte lehnen, obwohl ihre „Sprachtechnik“ so hervorspringt? Ist mir das zu kontruiert? Denn der Schreibstil bleibt so. Ich entscheide: Ich mag das. Ich finde das mutig.

Junge Liebe, tiefe Gefühle

Was Lene und Hendrik allerdings miteinander eingehen, ist zwiespältig zu lesen. Einerseits ist da die Intensität, das völlige Absorbiertwerden einer Liebe in jungen Jahren. Lene fühlt sich (vielleicht nicht ganz nachvollziehbar) magisch zu Hendrik hingezogen und verschmilzt mit ihm, ohne irgendetwas in Frage zu stellen. Auch hier regiert das Rauschhafte. Zwischen Weingläsern, Joints und Abenden mit Freunden oder zu zweit gibt sich Lene Hendrik vollkommen hin, und auch er scheint sie sehr zu brauchen. Ob das junge Naivität ist oder ein Charakterzug von Lene, ist schwer zu sagen. Fest steht: Es übersteigt Normalmaß. Da ist etwas dran, das beunruhigt.

Exkursion: Rauschmittel

Hier muss ich eine Kritik einfügen: Mag sein, dass ich da naiv bin oder einer älteren, spießigeren Generation entstamme, aber müssen wirklich so viel Alkohol und Drogen im Roman vorkommen? Mit einer solchen sorglosen Ist-doch-völlig-normal-Konnotation? Natürlich: Rausch passt zu Rausch. Aber das wäre doch auch mit weniger Stoff gegangen. Das hätte auch nur aufgrund von Hendrik und Lene funktioniert.

Ende des mahnenden Zeigefingers.

Hendriks Gepäck, Lenes Schwachstellen

Bald fällt dem Leser (wenn auch nicht Lene) auf, dass irgendetwas komisch ist mit ihm. Im Gegensatz zu Lene nistet er sich nicht richtig ein in ihrem Leben. Und dann sind da diese schlimmer werdenden Phasen abgrundtiefer Traurigkeit, scheinbar ohne Grund.

Mehrfach habe ich jetzt gelesen, dass es im Roman um die Gefühle intensivster Liebe geht. Ja. Tut es. Aber in meinen Augen steigt ein ganz anderes Thema immer mehr an die Oberfläche und legt sich über alles: psychische Erkrankungen. Hendrik verbirgt Ereignisse aus der Vergangenheit, die nach und nach ans Licht brechen. Ihr Resultat in der Gegenwart: Depression. Und zwar eine schwere. Sie zerrt immer mehr an der Geschichte und schwappt über alles drüber, so dass ich mich frage, worüber Svenja Gräfen jetzt tatsächlich schreiben wollte: über die Liebe oder über Menschen mit schwarzen Löchern in der Psyche? Oder über beides? Das vermischt sich immer mehr, wird am Ende beklemmend und bleischwer.

Zumal auch Lene ein immer offensichtlicher werdendes Problem hat: Ihre Liebe zu Hendrik grenzt an blinde Obsession. Mit fast körperlicher Abhängigkeit klebt sie an Hendrik. So sehr, dass es sie fast mit in den Abgrund zieht. Die fiebrigen Gespräche der beiden in ihrer Wohnung, zum Ende der Beziehung hin, losgelöst von der Außenwelt, haben etwas von einem psychiatrischen Kammerspiel. Wenn das so gewollt war – okay. Nur bin ich mir dessen nicht so sicher. Vielleicht ist „Übermaß“ ja auch das Meta-Thema des Romans. Ein Übermaß an Gefühlen, ein Übermaß an Drogen, ein Übermaß an allem. Das wiederum wäre dann passend. Aber das müsste Svenja Gräfen mir bestätigen.

Fazit:

Am Ende des Romans zieht man sich aus dieser Beziehung, aus diesem flackernden, sprachlich über einen hinweg rauschenden Buch mit einer gewissen Erleichterung. Das war ziemlich kirre, das war erdrückend, das war nicht leicht. War’s auch gut? Sprachlich spricht aus den Zeilen Talent heraus und Mut zum Spiel. Inhaltlich macht mir „Das Rauschen in unseren Köpfen“ fast ein bisschen Angst. Ich weiß noch gut um die Intensität der Emotionen in jungen Jahren. Aber wenn Svenja Gräfen mit ihren 28 Jahren schon solche Gedankenstränge durch den Kopf flirren und sie die weiter so in Zeilen fasst, dann werden sich ihre nächsten in mein Hirn brennen wie Absinth oder ähnliches Teufelszeug. Das ist ein Kompliment. Aber gleichzeitig auch der Hinweis, dass zu intensiv eine echte Gefahr ist.

Ein Rezensionsexemplar des Romans wurde mir von ullstein fünf im Gegenzug für eine ehrliche Rezension zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!

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