Rezension: To Kill A Mockingbird von Harper Lee

To Kill A Mockingbird von Harper LeeTitel: To Kill A Mockingbird
deutscher Titel: Wer die Nachtigall stört
Autor: Harper Lee
Sprache: Amerikanisch
Format: eBook, Kindle Edition
Verlag: Harper
erschienen: 08.07.2014
Seitenzahl der Printausgabe: 385 Seiten

Inhalt:

Set in the small Southern town of Maycomb, Alabama, during the Depression, To Kill a Mockingbird follows three years in the life of 8-year-old Scout Finch, her brother, Jem, and their father, Atticus–three years punctuated by the arrest and eventual trial of a young black man accused of raping a white woman. Though her story explores big themes, Harper Lee chooses to tell it through the eyes of a child. The result is a tough and tender novel of race, class, justice, and the pain of growing up.

Zum Buch:

Ich könnte an dieser Stelle auch einfach durch’s Bild taumeln und mit verklärtem Blick „Wunderschön, wunderschön, wunderschön…!“ vor mich hin murmeln, eine Ausgabe von Harper Lee’s Klassiker an mein Herz gedrückt.

Da ich aber mal Anglistik studiert habe und die Lektüre von TO KILL A MOCKINGBIRD für mein Hirn inzwischen lange genug her ist, um von seinem literarisch initiierten High wieder runterzukommen, reiße ich mich jetzt zusammen und versuche es ernsthaft.

*räusper*

Ein Klassiker gerät wieder ins Rampenlicht

Es war ja ein Riesenaufruhr dieses Jahr, als Harper Lee GO SET A WATCHMAN veröffentlichen ließ, den nie publizierten Vorgänger zu ihrem Pulitzer-Preis Roman TO KILL A MOCKINGBIRD (der allerdings viele Jahre NACH demselbigen spielt. Es ist kompliziert.) Und nur aufgrund der ganzen Diskussionen greife ich zum allerersten Mal zum bereits 1960 erschienenen Klassiker über Rassendiskriminierung in den Südstaaten in den 30er Jahren. Kaum fassbar, dass ich MOCKINGBIRD noch nicht kenne. Gerade ich, die ich doch ein Jahr in Georgia gelebt und dort an der Uni Kurse über Südstaatenliteratur belegt habe. Große Güte, was habe ich da versäumt!

TO KILL A MOCKINGBIRD frisst mich mit Haut und Haaren. Zum Glück habe ich Urlaub und muss mich von meinem Liegestuhl nur wegbewegen, um den Kindle wieder aufzuladen. Harper Lee’s rückblickend aus Kindersicht erzählte Geschichte transportiert mich sofort nach Maycomb, eine Kleinstadt in Alabama zur Zeit der Depression, ins Haus der Familie Finch.

Darum geht es in MOCKINGBIRD:

Jean Louise, genannt ‚Scout‘, ist ein starkes, jungenhaftes Mädchen, das zusammen mit ihrem Bruder Jem vom verwitweten Vater, dem Rechtsanwalt Atticus Finch, sowie der afro-amerikanischen Kinderfrau Calpurnia groß gezogen wird. Scout erlebt viel in diesem Jahr in Maycomb: die Freundschaft mit dem fantasiebegabten Dill, den ersten Schultag, Aufregung um den unheimlichen Nachbarn ‚Boo‘, eine Schulaufführung als wandelnder Schinken zum Erntedankfest… – und natürlich den Prozess um Tom Robinson. Angeblich hat Tom, ein armer Afro-Amerikaner, eine junge Frau aus einer ‚White Trash‘ Familie vergewaltigt, und es ist Atticus, der ihn trotz Anfeindungen und Bedrohung vor Gericht verteidigt.

Scout erlebt erst am Rande, ohne zu verstehen, wie sich die rassistischen Anfeindungen ihrem Vater und Tom gegenüber mehren und gefährlich zuspitzen. Von Atticus, einem moralisch und ethisch leuchtenden Vorbild, erzogen, versteht das Mädchen die Welt nicht mehr und muss die Ungerechtigkeit trotzdem hinnehmen. Ihr natürlicher Sinn für Recht und Unrecht, ihre ‚Farbenblindheit‘ gegenüber Schwarz und Weiß, alles, was der für Gleichheit vor dem Gesetz eintretende Atticus sie gelehrt hat, erfahren einen schweren Schlag.

Rassismusanklage und Kindheitsportrait

Ja, natürlich ist das eine Lehrstunde in Sachen Rassendiskriminierung und Verbiegung des amerikanischen Rechtssystems zu einer Zeit, als das Wort eines Weißen schlicht und einfach mehr galt als das eines Schwarzen, auch wenn dem Weißen die Lüge ins Gesicht geschrieben stand. Es ist auch ein Zeitportrait, als die Armut auch vor kleinen Städten mit eng zusammenhaltender Gemeinschaft nicht Halt machte und die Bewohner in Fraktionen trennte. Es ist eine Lektion über Recht und Anstand und ein Plädoyer für Aufrichtigkeit und Gleichbehandlung.

MOCKINGBIRD ist aber auch – und das war mir vor der Lektüre gar nicht klar – die wunderschöne, nostalgische (und autobiografisch basierte) Geschichte einer Kindheit in den Südstaaten. Die Anektdoten mit Scout, Jem und Dill, wie sie durch Kohlfelder kriechen, fantasievolle Abenteuer nachspielen, schwimmen gehen, in der schwülen Hitze des Südens auf der Terrasse schlafen – das sind Anekdoten, die trotz der Dramatik um Tom vor Glück und Geborgenheit nur so strotzen. Man fühlt sich an Tom Sawyer und Huckleberry Finn erinnert. Es gibt einiges zu Lachen, viel zu Lächeln.

Der große, gerechte Atticus

Der liebevolle Umgang Atticus‘ mit seinen Kindern wirkt dabei regelrecht progressiv – als alleinerziehender Vater lässt er sich in die Erziehung seines Nachwuchses nicht reinreden, gibt ihnen ebenso viel Zuneigung wie er ihnen Wissen vermittelt. Er macht Scout und Jem frühzeitig zu mündigen Wesen – was sie als Kehrseite mit in die Konflikte um den Prozess zieht. Der Hüter der Moral in Maycomb zu sein, ist eine schwere Bürde. Eine, die seine Kinder mit ihm tragen, und zwar erhobenen Hauptes.

Fein beobachtet und spitz bis liebevoll gezeichnet sind auch die Nebenfiguren. Ob die biestige alte Nachbarin, die unerfahrene Lehrerin, die hungrigen, verlausten Cunninghams oder ‚Boo‘ Radley, der im Keller seines Elternhauses hockt und nie ans Tageslicht kommt – Harper Lee zeichnet ein großartiges Kaleidoskop an Maycomb-Einwohnern, bedient sich Klischees, ohne sie auszuwetzen: Jede der Figuren hat ein spezielles Gesicht.

Fazit:

Am Ende bleibt pure Begeisterung für einen Roman, der all die Liebe und all den Ruhm, welcher ihm zuteil wird, tatsächlich verdient hat. Sprachlich ebenso leichtfüßig wie erbauend, melodisch südstaatlich, kindlich und doch von einer erwachsen gewordenen, klugen Erzählerin geprägt, schafft Harper Lee es mit TO KILL A MOCKINGBIRD ebenso zu unterhalten wie anzuprangern und uns etwas zu lehren – auch heute noch.

Lee’s moralisch hohe Botschaft ist für viele durch Erscheinen von GO SET A WATCHMAN etwas eingetrübt worden, stellt der unfehlbare Atticus sich in jenem Buch doch als verkappter Rassist heraus. Man sollte sich MOCKINGBIRD dadurch jedoch nicht verderben lassen, sondern den Roman eigenständig betrachten. Schließlich wurde MOCKINGBIRD damals für die Veröffentlichung gewählt und WATCHMAN als grober Entwurf wieder in die Schublade zurück gepackt. Das hatte seine Gründe. Man sollte TO KILL A MOCKINGBIRD als das stehen lassen, was es jahrzehntelang gewesen ist: ein wunderschönes, ebenso einfaches wie komplexes Stück Weltliteratur, dessen Appell für Gerechtigkeit universelle Geltung hat. Auch heute noch.

P.S: Erwähnte ich bereits, dass ich diesen Roman liebe?

Bewertung: 11 von 10 Punkten

…und damit ein Fall für meine Lieblingsliste.

Übrigens…

To Kill A Mockingbird DVD Cover…kann ich euch den alten schwarz/weiß-Film mit Gregory Peck als Atticus sehr ans Herz legen. Klar, der entspricht nicht unseren modernen cinematographischen Standards und wirkt etwas angestaubt, was Look und Musik angeht. Aber der Roman wurde sehr geschickt in ein stimmiges Skript adaptiert, und die Schauspielerleistungen sind grandios. Den Oscar hat Gregory Peck damals wirklich verdient, und auch die Kinderdarsteller machen ihre Sache fantastisch.
Meine DVD enthält ein interessantes Making Of und faszinierende, recht neue Interviews mit den Machern und Schauspielern des Films. Kann man sich einen sehr schönen Abend mit machen!

5 Gedanken zu “Rezension: To Kill A Mockingbird von Harper Lee

    • papercuts1 17. September 2015 / 19:20

      Hallo buchpost,

      wow – da hast du einen sehr fundierten, interessanten und umfassenden Artikel über ‚Mockingbird‘ geschrieben! Den habe ich sehr gerne gelesen und verbeuge mich vor der vielen Recherchearbeit!

      Schön, dass wir uns bei den ’11 von 10′ einig sind. :-)

      Gruß,

      Ute

      • buchpost 17. September 2015 / 19:34

        Danke dir sehr. Manchmal kommt halt eines zum andern. Viel Spaß beim Entdecken des nächsten 11 von 10 Punkten-Buches, LG, Anna

  1. Stefan C. Limbrunner 14. Juli 2017 / 12:58

    Liebe Papercuts,

    Gerade lese ich ihren wirklich tollen und erfrischenden Artikel zu meinem Lieblingsroman – ganz herzlichen Dank dafür, ich stimme ihnen völlig bei. Mich freut auch dass sie den – in der Tat legendären – Filmklassiker mit Gregory Peck ans Herz legen. Als langjähriger Dozent für Filmgeschichte (und studierter Schauspieler) würde ich hier aber gern ein bissel differenzieren. Mir ist natürlich völlig klar, und das war auch eine gute Idee, dass sie den Film bewusst so beschrieben haben, wie sie es haben, um einem heute anders geprägten Publikum Vorbehalte zu nehmen, und den Genuss nicht zu verbauen.

    Aber – nicht bös gemeint – „entspricht nicht mehr unserem cinematographischen Standard“ stimmt so nicht. Wenn, könnte man sagen, er verfügt nicht über die heutigen filmtechnischen Möglichkeiten. Über die filmemacherischen und künstlerischen Standards kann man das gerade in diesem Fall nicht sagen, weil da zeitlose Qualitäten sind. Speziell die Filmmusik von Elmer Bernstein gilt sogar als eigenständiges, prägendes Meisterwerk (man vergleiche z.B den Einfluss auf Alan Silvestris Titelthema zu „Forrest Gump“ über 30 Jahre später). Kritiker listen diesen Score regelmäßig unter die 10 Besten Filmkompositionen des 20. Jahrhunderts, in der Regel sogar unter den Top 3. So gelten z.B. der wunderschöne Titelvorspann, und die berühmte Boo-Radley Szene als zwei der am besten musikalisch orchestrierten Sequenzen der Filmgeschichte. Ebenso gilt auch die Kameraarbeit von Russell Harlan – rein technisch natürlich nicht mit dem vergleichbar was heute im hochauflösenden CGI Zeitalter machbar ist – als nach wie vor künstlerisch herausragendes Beispiel für bildstarke, sinnliche Schwarzweißkamera.

    Tatsächlich war der Film ja (gegen sehr starke Konkurrenz wie „Licht im Dunkel“, „Lawrence von Arabien“ und „Botschafter der Angst“) für 8 Oscars nominiert: Bester Film des Jahres, Beste Regie, Bester Hauptdarsteller- Gregory Peck, Beste Drehbuchadaption, Beste Nebendarstellerin (die damals 9-jährige Mary Badham als Scout), Beste Kamera, Beste Filmmusik und Beste Ausstattung. Dreimal gab’s dann den Goldjungen.

    Völlig richtig ist natürlich was sie über die famosen Darstellerleistungen und das oscargekrönte Drehbuch von Dramatiker Horton Foote sagen. Unfassbar wie sensibel und liebevoll hier adaptiert wurde. Seine Arbeit trug wesentlich dazu bei, dass „To Kill A Mockingbird“ bis heute als eine der besten Literaturverfilmungen schlechthin angesehen wird.

    Ich wollte Ihnen aber hier nicht zu nahe treten, noch Sie zuschwallen, sondern einfach danke sagen und doch auch ein bisschen was zum hohen Status erwähnen, den die Verfilmung in Fachkreisen genießt.
    Vielleicht schreibe ich auch einmal auf meinem filmhistorischen Blog http://uncahierducinema.blogspot.de/ über die Verfilmung von „Wer die Nachtigall stört“ (Was gäbe es nicht für tolle Hintergrundgeschichten zu Frau Lee, zu Truman Capote und, und, und…).

    Übrigens: Wussten sie, dass es eine ziemlich beeindruckende Dokumentation über den Roman gibt? Sie heißt „Hey Boo. Harper Lee And To Kill A Mockingbird“ von Mary McDonagh Murphy, aus dem Jahr 2010. Hier ist der Trailer: http://www.imdb.com/video/imdb/vi4027817241

  2. Stefan C. Limbrunner 11. Februar 2018 / 20:28

    Es hat fast ein halbes Jahr gedauert, aber ich habe durchgezogen, was ich in meinem letzten Kommentar angedeutet hatte: Heute hab ich auf meinem Blog den dreiteiligen Essay „Das Gewissen eines Einzelnen: Wer die Nachtigall stört“ abgeschlossen.

    Dieser Essay, der neben reichhaltigem Fotomaterial (auch Backstage) und seltensten Clips auch Materialien beinhaltet die nie zuvor in deutscher Sprache (und manche auch in keiner anderen) zugänglich gemacht wurden (darunter das einzige erhaltene Interview mit Harper Lee, die ersten Fotos zu den verschollenen Szenen und Originalmanuskript-Seiten von Gregory Peck mit seinen handschriftlichen Probennotizen), dürfte der umfangreichste Blick auf Roman und Film sein, den das Netz zurzeit bietet. 
    Ich wünsche, bei Interesse, viel Vergnügen beim Lesen.

    Teil 1 „A Novel Of Rare Excellence“, der den Weg zum Buch und vom Buch zum Film beschreibt, finden Sie hier:
    https://uncahierducinema.blogspot.de/2018/02/das-gewissen-eines-einzelnen-wer-die.html

    Teil 2 „Scenes From Maycomb“, der die kompletten Dreharbeiten (mit Augenzeugenberichten) schildert, finden Sie hier:
    https://uncahierducinema.blogspot.de/2018/02/das-gewissen-eines-einzelnen-wer-die_10.html

    Teil 3 „Nachspiel“, der die Zeit unmittelbar nach der Premiere bis zum heutigen Kulturphänomen beschreibt, finden Sie hier:
    https://uncahierducinema.blogspot.de/2018/02/das-gewissen-eines-einzelnen-wer-die_11.html

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