Titel: ‚A Partial History of Lost Causes‘
(dt. Titel: ‚Das Leben ist groß‘)
Autorin: Jennifer duBois
Sprache: Englisch
Sprecher: Stephen Hoye, Kathe Mazur
Anbieter: Random House Audio
erschienen: 2012
Format: Hörbuch-Download von audible.de für € 9,95 im Flexi-Abo
Länge: 16 Std 7 min (ungekürzt)
Eine kostenlose Hörprobe findet ihr auf der Produktseite von audible.
‚Games were pacified war. And no game was more overtly war-like than chess. But sometimes you needed violence to be real and losses to count. Sometimes you needed to defend something that really mattered, and not only because it symbolized something that mattered.‘
Jennifer duBois, A Partial History of Lost Causes
Inhaltsangabe (amazon):
Leningrad in den frühen 80er Jahren: Das Schachwunderkind Alexander Besetow gibt seine Ideale zugunsten des Luxus auf, den die Kommunisten ihm bieten. Cambridge, Massachusetts im Jahr 2006: Bei der jungen Dozentin Irina Ellison wird Chorea Huntington diagnostiziert – eine Krankheit, die schon ihrem Vater den Verstand geraubt hat. Vor seinem Tod hat er dem Schachweltmeister Alexander Besetow eine alles entscheidende Frage gestellt: Wie kann man weitermachen, wenn die Niederlage nicht abwendbar ist? Um die Antwort zu erhalten, reist Irina zu Alexander. Dieser hat sich ebenfalls einer aussichtslosen Sache verschrieben: Er tritt bei den Wahlen gegen den russischen Präsidenten an. Irina unterstützt ihn dabei und sucht mit ihm die lebenswichtige Antwort auf die Frage: Wie weiterleben, wenn die Niederlage unausweichlich ist?
Zum Hörbuch:
Manchmal hat man besondere Gründe, ein bestimmtes Buch zu lesen oder zu hören. Jemanden persönlich zu kennen, in dessen Familie die Erbkrankheit Chorea Huntington bereits Löcher gerissen hat, war in diesem Falle mein Grund. Selbst wenn man Betroffene persönlich kennt, ist es schwer, sich in ihre Gedankenwelt hinein zu versetzen. Wie geht man damit um, mit diesem Damokles-Schwert über dem Kopf? Was macht man mit einem Leben, das vermutlich früh und nicht schön enden wird?
Diese Frage stellt sich auch Irina, aber bevor wir ihr in A PARTIAL HISTORY OF LOST CAUSES überhaupt begegnen, lernen wir auf der anderen Seite des Globus, in Russland, erstmal Alexander kennen. Alexander, das junge Schachgenie. Alexander, der uns mitnimmt auf seine Reise durch das marode, koruppte Russland unter Vladimir Putin’s aufsteigendem Stern. Alexander, der vom Aushängeschild zum Dissidenten wird.
Jennifer duBois schildert dieses Russland atmosphärisch und cineastisch. Leningrad ist eine herunter gekommene, dreckig gewordene Schönheit. Man kann die ausgewaschenen Farben der Stadt und die gedrückte Stimmung sehen und fühlen. Handfeste Poetik liegt duBois, und sie malt ihr Setting authentisch und mit beeindruckender Sprachkraft.
Auch historisch zieht Alexander’s Teil der Geschichte in den Bann. Eine Geschichtsstunde im Mikrokosmos um Alexander sorgt for Unterhaltung und neues Wissen beim Hörer.
Problematisch dagegen ist Alexander selbst. Seine Geschichte, als mutiger, aussichtsloser Kampf angekündigt, wirkt über große Strecken wie etwas, in das er einfach hinein gerutscht ist. Seine Wandlung vom jungen Schachgenie zum politischen Dissidenten ist keine große moralische Wende und scheint noch nicht einmal eine bewusste Entscheidung zu sein. Irgendwie gerät er hinein in die Welt der Flugblätter und rebellischen Pamphlete. Irgendwie entwickelt er sich zu deren Gallionsfigur mit einem Fadenkreuz auf der Brust. So ganz überzeugend ist Alexander’s Entwicklung dorthin nicht.
Ausgerechnet an ihn wendet sich nun Irina auf der Suche nach dem Sinn ihres vergeblich erscheinenden Lebens. Bezeichnend ist, dass der stärkste Teil des Buches das erste Drittel ist, BEVOR Irina Alexander tatsächlich trifft. Es ist bestürzend, in Rückblicken durch Irina’s Augen die Erkrankung und das Sterben ihres Vaters mitzuerleben. Erschreckend und faszinierend zugleich ist auch, wie Irina mit ihrer eigenen Diagnose umgeht und damit, vermutlich mit Anfang 30 die Kontrolle über ihren Körper und ihren Geist einzubüßen. Ihre Introspektion über die eigene Lebenserwartung und über ihren drohenden Niedergang werfen tatsächlich große Fragen auf, und zwar über die der Vergeblichkeit hinaus.
Da geht es um Nähe, um Würde, um Sinnhaftigkeit und das, was einen Menschen ausmacht. Sterblich sind wir alle, und A PARTIAL HISTORY OF LOST CAUSES legt den Finger in diese Wunde. Wenn man nun in etwa weiß, WANN das Sterben beginnt, und wie es aussieht – was für Entscheidungen trifft man dann? Irina geht die Möglichkeiten durch, setzt sich auch mit Selbstmord auseinander, mit ihrer Angst vor Bindung und davor, jemanden mit ihrem würdelosen Sterben zu belasten. Nein, das ist wahrhaftig kein fröhlicher Roman, und einfache Antworten gibt es nicht.
Also Alexander. So ganz leuchtet bis zum Ende nicht ein, warum er derjenige sein soll, der diese Antworten kennt. Da gibt es zwar den schönen Vergleich mit dem Schachspiel. Wenn man ein bisschen Ahnung hat (ich bin da übrigens sehr unbedarft), weiß man, dass gute Schachspieler erkennen können, wenn sie einen fatalen Zug gemacht haben. Sie sehen schon etliche Züge vor dem Ende, dass sie eigentlich schachmatt sind. Aussichtslosigkeit scheint also Teil des Spiels zu sein.
Außerdem haben wir da Alexanders aussichtslosen Kampf als Präsidentschaftskandidat gegen Putin. Dass das nur ein pro forma Kampf ist, dass er keine Chance hat und sich stattdessen glücklich schätzen kann, wenn er seine Kandidatur überlebt – das ist von Beginn an klar. Es geht nicht ums Gewinnen, sondern ums Verlieren. Oder vielmehr darum, dass er überhaupt kämpft.
Beide Kampfarenen – der Schach und der politische Kampf – bleiben jedoch etwas blass. Wirkliche Spannung oder ein mitreißendes Gefühl wollen sich nicht einstellen. Alexander bleibt ein merkwürdig blutleerer Held mit wenig Überzeugungskraft. Als Irina dann vor ihm steht und die große Frage aus dem Brief ihres Vaters noch einmal stellt, verpufft der große Moment. Insgesamt driftet die Geschichte danach als nicht wirklich zusammen gehende Kombination aus Alexander’s und Irina’s Schicksal auf ein zwar unerwartetes, aber nicht sonderlich eindrucksvolles Ende zu.
Was bleibt, ist duBois‘ starke Sprache. Es gibt Momente in A PARTIAL HISTORY OF LOST CAUSES, die brennen sich sprachlich ins Gedächtnis. Kraftvolle Bilder und Formulierungen, als hätte die Autorin schon zwei ganze Leben gelebt. Dazu schneidet sie elementare Themen an und sucht eindrucksvoll nach Sinnhaftigkeit in der erbarmungslosen Willkür des Lebens und der menschlichen Sterblichkeit. Die Geschichte ist getränkt von Melancholie und manchmal, nur manchmal glaubt man, dass es vielleicht doch Antworten gibt. Dass es im Angesicht des sicheren Todes eben nicht nur darum geht, Kaffee zu trinken und sich ‚die gottverdammten Zähne zu putzen‘, wie Alexander es an einer Stelle formuliert.
Dann aber entgleiten die Antworten der Geschichte wieder, und alles bleibt so verwaschen und unausgegoren wie die unwirtlichen Straßen von Leningrad.
Zu den Sprechern:
Hörbüchern, die aus zwei eindeutigen Perspektiven erzählt werden, tut es eigentlich immer gut, wenn diese beiden Perspektiven auch von zwei unterschiedlichen Sprechern übernommen werden. Das ist hier auch der Fall. Stephen Hoye darf Alexander’s Sichtweise übernehmen. Er spricht ihn mit Nachdruck, sauber und in einem etwas eigentümlichen erzählerischen Singsang, von dem mich interessieren würde, ob das eine Eigenart oder bewusste Wahl für diese Geschichte war. Keine Frage – Hoye hat irgendwo in sich eine ‚russische Seele‘. Besonders sein Nikolai und Micha kommen überzeugend über Hoye’s Lippen. Alexander selbst bleibt etwas vage im Ausdruck, allerdings passend zu seinem Charakter.
Im direkten Vergleich hat Kathe Mazur die Nase ganz leicht vorn. Das mag allerdings eher daran liegen, dass sie die stärkere, eindrucksvollere Figur der beiden spricht. Oder an der zornigen Melancholie, mit der Mazur Irina’s Gedankengänge durchweg belegt. Man hört die Niedergeschlagenheit der Figur, und das ist auf Dauer nicht immer leicht zu ertragen. Andererseits lässt Mazur immer wieder einen Funken in Irina aufblitzen, einen wütenden Trotz, der diese junge Frau sehr überzeugend klingen lässt. Das passt.
Fazit:
Ein eigentümlicher Roman über aussichtslose Kämpfe und wie man damit umgeht. Jennifer duBois versucht den Spagat zwischen einer tödlichen Erbkrankheit, zeitgenössischer russischer Geschichte und Schach – ein sehr mutiges Konzept, das aber nicht schlüssig aufgeht. Unbestritten ist duBois‘ Talent zum Schreiben. In ihrem Debut blitzt ganz viel Potential auf, auch wenn die Fäden noch nicht richtig zusammenlaufen. Die große Frage nach dem Sinn des Lebens wird gestellt und ausgiebig beleuchtet. Allzu viel an Antworten bekommt man jedoch nicht. Aber vielleicht ist das ja auch wiederum eine Art Antwort?
In jedem Fall ein Erstling, der aufhorchen lässt. Da kann noch mehr kommen!
Bewertung:
Hörbuch: 6/10
Sprecher:
Stephen Hoye: 7/10
Kathe Mazur: 8/10
Mit dieser Hörbuch-Rezension decke ich gleichzeitig mein Februar-Hörbuch für Karlas Hörbuch-Challenge 2013 ab!