Rezension: ‚Zorn – Vom Lieben und Sterben‘ von Stephan Ludwig

Titel: ‚Zorn – Vom Lieben und Sterben‘

Autor: Stephan Ludwig

Sprache: Deutsch

Sprecher: David Nathan

Format: Hörbuch-Download von audible.de für € 9,95 im Flexi-Abo

Länge: 7 Std 33 min (gekürzt)

Hörprobe

Inhaltsangabe (audible):

Hauptkommissar Claudius Zorn ist frustriert – es ist Sommer, es ist heiß und er bekommt zwei Mordfälle in einer Woche auf den Tisch. Da war ihm die Einbruchserie in der Kleingartenanlage wesentlich lieber. Die war schnell geklärt: Eine Clique Jugendlicher wollte sich die Zeit vertreiben. Merkwürdig nur, dass beide Mordopfer genau dieser Clique angehörten. Zorn und seinem Kollegen Schröder ist schnell klar, dass hier jemand seine Opfer ganz genau auswählt, sie vielleicht sogar kennt. Als die beiden Komissare endlich eine vage Spur haben, ist die Zeit bis zum nächsten Mord bereits abgelaufen. Und Zorn kann sich einfach keinen Reim darauf machen, weshalb Schröder sich plötzlich so merkwürdig verhält…

Zum Hörbuch:

Nach Ludwigs frisch-frechem Erstling ZORN – TOD UND REGEN war meine Aufregung groß, ob er mit Zorns zweitem Fall die hohen Erwartungen würde erfüllen können. Mit Claudius Zorn und dem immer noch vornamenlosen, neuerdings nicht mehr so dicken Schröder hat Ludwig immerhin ein skurilles Team geschaffen, wie man es sonst eher im Münsteraner Tatort oder bei Jussi Adler-Olsen antrifft. Hartes Thriller-Material vereint mit Slapstick – ob das auch in der zweiten Auflage so gut funktioniert?

Tut es. Und zwar, weil Ludwig nicht einfach nur einen Neuaufguss des ersten Auftritts von Zorn und Schröder abliefert, sondern eine unerwartete Variation hinein bringt. Dazu später mehr.

Der Anfang ist klassisch: Wir werden mit einer Szene des Grauens geködert. In diesem Fall ist es leiser, angedeuteter Horror, der sich anschleicht, bis sich einem jedes einzelne Körperhaar sträubt. War es in TOD UND REGEN blutige Brutalität, ist es in VOM LIEBEN UND STERBEN eine verstümmelte Seele, die uns in die Geschichte zieht. In der Hörbuchversion liest David Nathan diese Szene mit seiner leisen, unheilvollen Stephen King-Stimme und überzeugt mich direkt schon mal davon, dass ich das richtige Format gewählt habe. Stilles Grauen.

Damit gerade zu Rande gekommen, folgt Ludwig erstmal dem bewährten Rezept aus Grausamkeit, abwechselnd mit ‚comic relief‘. Wir können durchatmen, schmunzeln und auch mal laut lachen, wenn Zorn und Schröder ihre Slapstick-Nummer durchziehen, oder der Hauptkommissar sich auch mal ganz alleine zum Narren macht. Wie zuvor, ist das manchmal feinsinnig, oft auch übertrieben, funktioniert aber hervorragend im Zusammenspiel mit der ernsten Thriller-Handlung. Die Morde sind grausig, es gibt spannende Action-Sequenzen, Einblicke in ein krankes Hirn und reichlich Perspektivwechsel zwischen Zorn, Schröder, dem Täter und Opfern.

Das alles haben wir in Teil 1 ja so ähnlich gehabt. Aber zu meiner Freude macht Ludwig diesmal etwas anders und sorgt damit für die erhoffte Weiterentwicklung der Reihe.

Zorns loyaler Sidekick Schröder bringt eine besondere, andere Note in diesen Roman. Nach den Ereignissen des vorangegangenen Teils hat er noch mit den Nachwirkungen zu kämpfen und ist nicht mehr das stets fröhliche, unbekümmerte Dickerchen, wie wir ihn kennen gelernt haben. Ja doch, auch in VOM LIEBEN UND STERBEN sorgt Schröder für Komik. Aber es schleicht sich ein doppelter Boden in seine Witze. Wir lernen, dass Schröder sehr viel mehr mitbekommt als wir und Zorn glaubten. Und machen uns zunehmend Sorgen ob des beunruhigenden Verhaltens des Kommissar-Assistenten. Was ist das für eine dunkle Seite, die da plötzlich aus dem Gute-Laune-Garanten hervorlugt? Auch Zorn ist verunsichert und muss sich anders mit Schröder (und sich selbst) auseinandersetzen als zuvor.

Clever gemacht, dieser neue Schachzug. Ludwig schafft es damit, den manchmal wie einen Comic wirkenden Thriller zu erden und eine düstere, ernste Komponente hereinzubringen. Der eine Leser wird empfinden, dass diese Veränderung auf Kosten des köstlichen Humors geht. Der andere (wie ich) dagegen als interessante Ausarbeitung der zuvor doch eher oberflächlichen Hauptfiguren. Hier entsteht eine Tiefe, die der Reihe gut tun wird. Und wie schön, dass Ludwig konsequent bleibt und der Geschichte einen passend ambivalenten Schluss verpasst.

Die Handlung selbst ist diesmal eine etwas rundere Sache und gerät nicht, wie in Teil 1, zeitweise zur Nebensache. Man kann gut miträtseln, das Thema ist ambitioniert und die Auflösung spannend gemacht. Da gibt es nichts zu bemängeln.

Was fehlt? Zorn’s ‚love interest‘ aus Teil 1 ist abwesend, und somit bieten sich dem Hauptkommissar weniger logische Momente für Tölpelhaftigkeit. Die saugt Ludwig sich anders aus den Fingern heraus, was für Spaß sorgt, mit der Geschichte aber streng genommen nichts zu tun hat. Thriller-Puristen werden diese erzwungenen Slapstick-Szenen verächtlich abwinken, Crossover-Leser wie ich dagegen trotz ihrer Konstruiertheit vergnüglich finden. Ludwig muss da nur weiterhin aufpassen, dass er die Balance hält.

Was ich mir wünsche? Nach Schröders unerwartetem Tiefgang wäre jetzt Zorn an der Reihe. Ansatzweise merkt man, vor allem im Zusammenspiel mit Schröder, dass mehr in dem guten Claudius steckt als ein fauler, kettenrauchender Kommissar mit sozialen Unzulänglichkeiten. Da ist was unter dieser knarzigen Oberfläche, und davon möchte ich gerne mehr sehen. Zorn hat sein Potential noch nicht entfaltet, und ich bin gespannt, ob Ludwig diese Luft nach oben nutzen wird. Bei einer so aus den Charakteren heraus lebenden Reihe wäre das ratsam.

Zum Sprecher:

Ich und ein gekürztes Hörbuch? Wo ich doch so ein Fetischist ungekürzter Ausgaben bin? Da kann nur eins dahinter stecken: ein genialer Sprecher. Nachdem ich von David Nathan in ZORN – TOD UND REGEN schon so begeistert war, gab es keine Frage, dass auch im 2. Teil das Hörbuch, selbst wenn gekürzt, meine erste Wahl sein würde. (Auch wenn mich mal interessieren würde, was das Gekürze eigentlich soll. Hallo? Ich reiße doch aus Büchern nicht einfach Stücke raus?!)

Jedenfalls: Wo David Nathan draufsteht, ist auch David Nathan drin. Schlechte Tage scheint der nicht zu kennen, und auch keine erzählerischen Grenzen: Stephen King wuppt er genauso wie Johnny Depp und diesmal eben einen Thriller, in dem Komik ebenso vertont werden muss wie Brutalität, leises Grauen und Nachdenklichkeit. Zorn ist gewohnt lakonisch gelackt, Schröder bekommt diesmal neben dem munteren Grundtenor auch stimmlich unerwartete Zwischentöne. Ein Highlight ist dazu die lispelnde Reporterin, mit der Zorn es zu tun bekommt. Allein für sie hat sich die Hörbuchversion schon gelohnt!

Aber haltet euch fest: Ich habe was zum Kritisieren gefunden. Wenn David Nathan eine Figur schreien lässt, hört sich das wie ein heiseres, gepresstes Flüstern an. Das ist mir mehrfach aufgefallen. Klar – ein Sprecher kann nicht einfach so haltlos ins Mikro brüllen. Das sprengt dem Hörer ja die Trommelfelle weg. Aber bei anderen habe ich da schon bessere Kompromisse gefunden, und auch Nathan selbst hat das in anderen Hörbüchern schon geschickter gemacht.

Das mal nur so am Rande. Wir können den Mann ja nicht nur dauernd in den siebten Himmel loben. Das tut dem doch auch nicht gut. ;-)

Fazit:

Erwartungen erfüllt. Nach ZORN – TOD UND REGEN liefert Ludwig mit ZORN – VOM LIEBEN UND STERBEN einen weiteren guten Fall für das Dreamteam Zorn & Schröder ab. Für Slapstick ist wieder ebenso gesorgt wie für Spannung. Der Fall an sich ist diesmal gegenüber den Eskapaden des skurillen Ermittlerteams ebenbürtig. Für ein ernstes Thema ist gesorgt, und das Ganze ist etwas stringenter geschrieben als im ersten, auch schon guten Band der jungen Reihe.

Das Beste: Ludwig nimmt eine seiner unterschätzten Hauptfiguren und fügt ihr eine neue, tiefere Ebene hinzu, die man so nicht erwartet. Eine echte Überraschung.

Bewertung: 9/10

Buchtrailer:

Audible Backstage-Interview mit David Nathan:

David Nathan im Exklusiv-Interview from Audible-Hörbücher on Vimeo.

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