Rezension: ‚Zorn – Tod und Regen‘ von Stephan Ludwig

Titel: ‚Zorn – Tod und Regen‘

Autor: Stephan Ludwig

Sprache: Deutsch

Sprecher: David Nathan

Format: Audio-CD, z.B. von fischerverlage.de für € 19,95

Länge: ca. 467 min (das sind fast 8 Std)

Inhaltsangabe:

Polizeibeamte finden Spuren eines brutalen Verbrechens, aber keine Leiche. Hauptkommissar Claudius Zorn wird vom Staatsanwalt mit den Ermittlungen
betraut – leider! Das erste Kapitalverbrechen seit Jahren bedeutet für den ehrgeizlosen Kommissar jede Menge Arbeit. Zorn und sein gewitzter Assistent Schröder entdecken schließlich die Leiche einer Frau. Ihr Mörder hat sie zu Tode gequält, ihr aber offenbar vorher Schmerzmittel verabreicht – warum? Wer hat den Beamten ein Video als Beweismittel gemailt? Und wer will gleichzeitig unbedingt verhindern, dass die Ermittler die Identität der Toten klären? Zorn und Schröder haben noch immer keinen Verdächtigen, als plötzlich ein weiterer Mord geschieht …

Zum Hörbuch:

Selten haben sich spritziger Humor und grausame Morde in einem deutschen Thriller so die Hand gegeben wie in diesem Hörbuch. Nein, was habe ich gelacht – um kurz darauf Gänsehaut meine Arme hoch kriechen zu spüren. Und dann lässt Stephan Ludwig seine Serienmörder-Story auch noch um ein Ermittlerduo kreisen, wie ich es hierzulande noch nicht erlebt habe: Claudius Zorn und ‚der dicke Schröder‘ sind einfach nur der Hammer!

Aber von Anfang an:

Es beginnt mit einem grausigen Mord, gesehen durch die Augen des Opfers. Eiskalte Sprache und harte Distanzlosigkeit lassen dem Hörer die Haare zu Berge stehen. David Nathan, the one and only, tut durch seine abgebrühte Erzählung sein Übriges dazu (hierzu später mehr). Gut gefallen hat mir die zunächst starke Haltung des Opfers, und ein herrlicher Moment von ‚comic relief‘ inmitten des Grauens, als ein Vergleich zu einem gewissen amerikanischen Schauspieler gezogen wird. Ihr werdet auch grinsen, wenn ihr an der Stelle ankommt.

Schnitt zu Claudius Zorn, Kriminalkommissar. Wozu er an diesem Tag (und überhaupt nie, wie es scheint) gar keine Lust hat, ist arbeiten. Es regnet in Strömen in dieser undefinierten Stadt, die überall in Deutschland sein könnte, und Zorn möchte das Wetter nur allzu gern mit Nickerchen ignorieren. Eigentlich sollte uns dieser Kerl zutiefst unsympathisch sein. Wie sich schnell herausstellt, ist er nicht nur faul, sondern ein auch ein Feigling, Drückeberger und seinem Kollegen Schröder gegenüber herablassend bis zur Arroganz. Zorn klüngelt sich durch den Tag, benimmt sich daneben und führt seinen Partner regelrecht vor, um sich aus der Affäre zu ziehen.

Es ist ein Kunststück, dass man ihn dennoch sofort ins Herz schließt. Das liegt vor allem daran, dass wir in Zorn den normalen, fehlerbehafteten Menschen sehen, wie wir es selbst sind. Und dann geht dieser ‚Normalo‘ auch noch hin und nimmt sich Sachen heraus, die wir uns selbst nicht trauen, aber so gerne auch mal tun würden. Wartet bis zu der Szene mit dem Schutzpolizisten, dann versteht ihr mich sofort! Hinzu kommt, dass Zorn immer mal wieder gerne in die Fettnäpfchen tritt, die er sich selber hinstellt und wie ein Trottel dasteht. Da kann man nicht anders, als ihm zu vergeben. Und natürlich ist alle Faulheit vergessen, als es darum geht, Menschenleben zu retten.

Schön auch, dass Zorn zwar der übliche Single mit Frauenproblemen ist, aber nicht der gebrochene, grenzdepressive Einsame Wolf, wie er heutzutage durch die meisten Thriller-Serien geistert. Nicht, dass gegen diese Typen etwas auszusetzen wäre, und man mag auch kritisieren, dass Zorn mit Sicherheit Tiefgang fehlt. Aber er ist mal etwas ganz Anderes. Sehr erfrischend!

Ihm gegenüber stellt Ludwig den ‚dicken Schröder‘. Rosige Wangen, ein dicker Bauch und sprühender Arbeitseifer machen ihn zum perfekten Gegenpol für den phlegmatischen Kettenraucher Zorn. Vergleiche hinken zwar immer, aber mich hat dieses Duo mehr als einmal an Carl Mørck und seinen Pfefferminztee-kochenden Assistenten Assad aus Jussi Adler-Olsons Krimireihe erinnert. Ein arbeitsscheuer Ermittler, der durch seinen gegensätzlichen  ‚Hiwi‘ gezwungenermaßen in die Gänge kommt. Ein ungleiches Duo mit Slapstick-Momenten. Allerdings fehlt Zorn die tiefe Melancholie von Mørck, und der dicke Schröder hat außer seiner Position als eifriger ’sidekick‘ nicht viel mehr mit Assad gemeinsam. Ob das besser oder schlechter ist, ist eine Geschmacksfrage. Mir gefallen beide Versionen gut.

Man sieht schon – getragen wird ZORN – TOD UND REGEN vor allem von seinen markanten Charakteren. Neben Claudius und Schröder gibt es da noch weitere interessante Typen. Und auch das was die Amerikaner in Serien als ‚love interest‘ bezeichnen, fehlt hier nicht. Die betreffende junge Dame sorgt für besonders amüsante Momente, benimmt sich Zorn in ihrem Beisein doch stets wie ein Vollidiot.

Außer den Charakteren wäre da ja auch noch der Thriller-Plot. Im Vergleich zum illustren Ensemble kommt der etwas schwächer weg und wirkt am Ende doch recht konstruiert. Ich mag es nicht, wenn über den Großteil eines Buches alles völlig wahllos und mysteriös erscheint und der Autor dann am Ende groß ausholen muss, um Sinn in die Sache zu bringen. Das ist hier der Fall und hat mich die Stirn runzeln lassen. Allerdings ist die tragische Geschichte, die Stephan Ludwig am Schluss aufrollt, ergreifend und plausibel und mit einem packenden Finish versehen, das sogar unserem Claudius Beine macht.

Zu den Morden selbst sei noch gesagt, dass es zu ein paar grausamen Szenen kommt, die klasse geschrieben sind. Brutal, aber ohne große Ekeleffekte. Bei der Auflösung erschien mir das Maß an Brutalität nicht glaubhaft begründet. Und was ist eigentlich aus den guten alten ‚erschießen und verbuddeln‘-Morden geworden, die es mal gab? Gibt es denn nur noch kranke Mörder mit der Gier nach stundenlanger Folter? Aber gut. Thriller leben ja auch von der Sensationsgier, und stinknormale Morde sind heutzutage, zumindest in der Fiktion, ja total langweilig.

Was die allgemeine Struktur angeht, so fängt das Buch mit sehr, sehr viel Witz an, der in einer urkomischen, wenn auch für die Geschichte völlig irrelevanten Schwimmbad-Szene gipfelt. An dieser Stelle musste Ludwig aufpassen, nicht zu vergessen, dass er ja eigentlich einen Thriller schreiben wollte. Aber er bekommt die Kurve: eingestreute Morde holen einen auf den Boden der Tatsachen zurück, and in der zweiten Hälfte lässt der Humor einer wachsenden Düsternis die Oberhand. Während die Stadt nach und nach in den grauen Regenfluten versinkt, wird die gesamte Atmosphäre dunkler und bedrohlicher bis hin zu einem spannenden Finale.

Zum Erzähler:

Unglaublich, aber wahr: Das war des erste Mal, dass ich ein von David Nathan gesprochenes Hörbuch gehört habe. Natürlich kannte ich ihn, hatte ihn ‚häppchenweise‘ schon genossen und nichts als Lobeshymnen gehört. Und was soll ich sagen? Sie stimmen alle.

David Nathan sorgt für ganz großes Kino. Ob es um die heftigen Folterszenen geht, die leisen, traurigen Momente oder um die umwerfend komischen Dialoge zwischen Zorn und Schröder – Nathan trifft immer den richtigen Ton. Er erzählt dieses Hörbuch nicht, er schauspielert es mit seiner Stimme. Und das auch noch, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Sein augenzwinkernder ‚Jack Sparrow‘-Charme war natürlich kein Problem, aber er meistert auch Eiseskälte und tiefe Trauer mit links.

Ich bin eigentlich eher ein Fan von tiefen, rauen Erzählerstimmen mit einer düsteren Färbung, und hatte nicht damit gerechnet, dass Nathan es fertig bringt, Johannes Steck vom Thron meiner Erzähler-Hitliste zu verdrängen, aber verdammt… – er hat es geschafft! Oder sich zumindest neben Steck gesetzt.

Bravo. David Nathan hat mit mir jetzt ein neues Groupie.

Fazit:

Ich mach’s diesmal kurz. Guter Plot. Das originellste deutsche Ermittler-Duo seit langem. Und David Nathan in Hochform.

Anhören! Sofort!

Bewertung: 10/10

Die Fortsetzung, ZORN – VOM LIEBEN UND STERBEN, erscheint voraussichtlich am 9. Oktober 2012 im Buchhandel!

Buchtrailer (leider nicht mit David Nathan):

4 Gedanken zu “Rezension: ‚Zorn – Tod und Regen‘ von Stephan Ludwig

  1. buechermonster 9. Mai 2012 / 15:08

    Ui, ne glatte Zehn. So viel gibt’s von mir zwar nicht, aber ich fand’s auch klasse. Musste bei dem Ermittlerduo auch öfter mal an den Herrn Adler-Olsen denken ;-)

    Ach ja, noch was: NATHAN FTW!

  2. papercuts1 9. Mai 2012 / 17:04

    Naja, ich habe geschwankt wegen der Zehn. Ein paar Schwächen waren schon da, aber ich bin sonst immer so kleinlich, und diesmal bin ich einfach danach gegangen, wie sehr ich das Hörbuch tatsächlich genossen habe. Es war so eins von denen, wo ich alle erdenklichen Gründe suche und sogar verspätet zur Arbeit erscheine, um weiterhören zu können. Und das ist für mich das Anzeichen, dass die Zehn trotz ‚Schönheitsfehler‘ verdient ist.

    Und die ABSOLUTE Höchstnote bei mir ist die völlig unlogische 11/10, wie du an meinen ‚Lieblingen‘ siehst. Da ist also noch etwas Luft nach oben…

    Schön, dass du auch die Adler-Olsen-Assoziation hattest. Habe ich sonst noch nirgendwo gelesen und dachte schon, ich sehe Gespenster.

    Jetzt bist du dran mit deiner Rezi! Ich bin besonders gespannt, ob du irgendwelche Längen im Buch entdecken konntest. Das würde dafür sprechen, dass das HB tatsächlich eine gekürzte Version ist.

    Und ich frage mich natürlich, ob ohne Nathan das Buch auch so witzig rüberkommt?

  3. Sunsy 9. Mai 2012 / 17:17

    Jau, so isses! Man hört richtig deine Begeisterung aus jeder Zeile :) und ja, deckt sich alles absolut mit meiner Meinung und Empfinden, wenn ich auch viel weniger Worte gemacht und versucht habe, nichts von der Story zu erzählen ;) – und bei mir waren es auch 10 Pünkterlies ;), so einige Gemeinsamkeiten sind da :D
    David Nathan ist einfach der Beste!

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