Titel: ‚The Thirteenth Tale‘
(dt.Titel: ‚Die dreizehnte Geschichte‘)
Autorin: Diane Setterfield
Sprache: britisches Englisch
Sprecher: Bianca Amato, Jill Tanner
Medium: Hörbuch-Download von audible.com für $ 7,49 im Abo
Länge: 15 Std 41 min (ungekürzt)
Inhaltsangabe (von audible.de):
Ein Leben lang musste Vida Winter, Englands erfolgreichste Autorin, Stillschweigen darüber bewahren, was damals, in jener Nacht vor rund sechzig Jahren, wirklich geschah, als der Familiensitz bis auf die Grundmauern niederbrannte. Nun, dem Tode nah, erleichtert sie erstmals ihr Gewissen und beichtet der jungen Buchhändlerin Margaret die schockierende Wahrheit über sich und ihre Zwillingsschwester.
Zum Buch:
Margaret Lea, die praktisch im Antiquariat ihres Vaters aufwuchs und Bücher mehr liebt als das wahre Leben, bekommt einen seltsamen Brief: Die Bestsellerautorin Vida Winter bittet sie, ihre Biographie zu schreiben. Erstaunlich daran ist nicht nur, dass Lea als Biographin bisher kaum von sich Reden gemacht hat, sondern vielmehr, dass niemand bisher herausfinden konnte, wer Vida Winter tatsächlich ist, und welches Leben sie geführt hat. Seit Jahren tischt Winter jedem Journalisten eine andere, erfundene Lebensgeschichte auf.
Margaret geht nervös und ungläubig erfreut auf das Angebot ein. Wie viele andere von Winter’s Lesern hofft sie, das Rätsel einer Geschichtensammlung der Autorin zu lösen, die ursprünglich 13 Geschichten enthalten sollte, aber tatsächlich nur 12 umfasst. Was passierte mit der 13. Geschichte?
Unsicher über die Motive Winters, macht Margaret sich zu deren abgelegenem Landsitz auf. Wie sich herausstellt, ist die Autorin unheilbar krank – der Grund für ihre plötzliche Offenheit. Margaret bezieht ein Zimmer auf dem Landsitz und lässt sich in vielen Sitzungen Winter’s wahre Geschichte erzählen.
Während dieser Sitzungen wechselt die Perspektive zu Vida Winter, was in der englischen Hörbuchversion auch mit einem Sprecherwechsel einhergeht: Von der ruhig-intensiven Stimme Amato’s hin zur leicht rauchigen Stimme Jill Tanner’s, die sofort das Bild einer großen, alten Dame vor dem geistigen Auge heraufbeschwört.
Winter zieht sowohl Margaret als auch den Hörer immer tiefer in den Bann der Geschichte von Gut Angelfield. Geduldig und atmosphärisch berichtet sie von den unzähmbaren, symbiotischen Zwillingen Addeline und Emmeline, ihrer Mutter Isabelle, deren Bruder Charlie und ihrem Mann Robert.
Da ist auch der Kosmos an Hausangestellten: Der alte, wortkarge Gärtner, dessen schwielenbedeckte Hände die Hecken des Anwesens liebevoll in Kunstwerke verzaubert. Da ist die Haushälterin und Köchin, die die Zwillinge ebenso wenig bändigen kann wie Hester, das energische Kindermädchen. Hester’s hartnäckige pädagogische Anstrengungen arten zwischenzeitlich in ein sozial-psychologisches Experiment aus – die einzige Passage des Buches, die Längen hat.
Und da ist jenes Element, welches das Buch (neben der stets düster-viktorianischen Atmosphäre) zu einer sogenannten ‚modern gothic novel‘ macht: das Gespenst von Angelfield. Wer jetzt allerdings eine ausgewachsene Spukgeschichte erwartet, sei eines Besseren belehrt. Die abnormalen Erscheinungen halten sich in Grenzen, und lange Zeit fragt sich der Hörer mit Margaret, ob es sich vielleicht nur um Einbildung handelt.
Zwischen den Sitzungen mit Vida Winter tritt Margaret zögerlich eigene Nachforschungen an. Die Abwesenheit des Internets oder anderer moderner Medien scheint, ebenso wie die Sprache und das altmodisch anmutende Setting, anzudeuten, dass sich die Geschichte in einem früheren Jahrhundert abspielt. Man fühlt sich an die Zeit Jane Austen’s oder Jane Eyre’s erinnert. Andererseits gibt es genug Modernes in der Erzählung, was wiederum auf die Gegenwart deutet. Letztendlich findet man sich mit einer unbestimmten Zeitlosigkeit ab, losgelöst von festen Dimensionen, was den mystischen, geheimnisumwitterten Tonus des Romans noch unterstützt.
Weitere Charaktere betreten die Bühne: Margaret trifft auf den tumben, freundlichen Aurelius, der etwas Licht in die Dunkelheit bringt. Außerdem ist da ‚Shadow‘, ein seltsamer Kater, der zu Margaret’s fester Gesellschaft avanciert.
Während Vida ihre Geschichte weiter spinnt, wird Margaret von Parallelen zu ihrer eigenen Vergangenheit geplagt. Auch ihr Leben enthält ein Geheimnis, das sie verfolgt. Während die Idee zu dieser Parallelität an sich sehr passend ist, geht dem Hörer allerdings Margaret’s obsessives Gejammer darüber etwas auf die Nerven. Die zweite kleine Schwäche des Buches, die aber in der hypnotischen Stärke der gesamten Geschichte bedeutungslos wird.
Zuletzt kommt Maragaret dem großen Geheimnis um Angelfield und seine Bewohner auf die Spur, und was es mit dem verheerenden Brand auf sich hatte, der Angelfield dem Erdboden gleich gemacht hat. Und auch sich selbst und ihrem eigenen ‚Gespenst‘ tritt sie tapfer entgegen
Alle Rätsel werden jedoch nicht gelöst. Das Ende lässt Raum für Interpretationen und hat so manche Diskussion in Buchforen und Leserunden ausgelöst. Wer hier absolute Aufklärung erwartet, der wird frustriert sein. Für ein paar Mysterien muss Raum bleiben, und das ist absolut im Einklang mit der gesamten Erzählung.
Überhaupt ist die Geschichte an sich nur einer von zwei Gründen, die ‚The Thirteenth Tale‘ zu einem fantastischen Buch machen. Der zweite ist eine unfassbar schöne Sprache. Wortwahl, Satzkonstruktionen und Sprachrhytmus sind ein absoluter Genuss – was besonders in der Hörbuchfassung durch die Spitzenleistung Amato’s zum Ausdruck kommt. Man kann sich kaum satt hören an der fast symphonischen Komposition der Sätze. Ein Grund mehr, sich die Originalversion in Englisch anzuhören! Die deutsche Übersetzung, obwohl sehr gut, kann das natürlich nicht 1:1 übernehmen.
“There is something about words. In expert hands, manipulated deftly, they take you prisoner. Wind themselves around your limbs like spider silk, and when you are so enthralled you cannot move, they pierce your skin, enter your blood, numb your thoughts. Inside you they work their magic.”
–Diane Setterfield, The Thirteenth Tale
Zu den Sprechern:
Wie schon gesagt, verdankt ‚The Thirteenth Tale‘ seine verwunschen-schaurige Schönheit zum einem großen Teil den Erzählerinnen. Bianca Amato’s Interpretation der Margaret Lea ist mit das Beste, was mir bisher an Hörbuch-Erzählungen untergekommen ist. Ruhig, und dennoch von einer Intensität, der man sich nicht entziehen kann, holt sie den Hörer von Anfang an unwiderbringlich in eine Welt voller staubiger, geliebter Bücher und Geheimnisse, die man nicht mehr verlassen möchte.
Jill Tanner’s Leistung ist ebenfalls überdurchschnittlich. Gebrochen, und dennoch kraftvoll gibt sie der todkranken Dame auch stimmlich die geheimnisumwitterte Aura, die Setterfield ihr auch optisch verleiht. Besser kann man ein Hörbuch nicht casten.
Fazit:
‚The Thirteenth Tale‘ war das erst englische Hörbuch, was ich je gehört hatte – was für eine glückliche Fügung! Es zementierte meine Liebe zu diesem Medium und ließ mich alle Skepsis über Bord werfen, was die Gleichwertigkeit von gedrucktem und gesprochenem Buch angeht.
Mit Haut und Harren zieht die Erzählung den Hörer in ihren mysteriösen Bann und lässt sich dabei wunderbar Zeit und Raum. Losgelöst von Zeit und Realität, verdient die dunkle Saga um Angelfield und seine Bewohner zu Recht das Label ‚Modern Gothic‘. Ein Buch, in dem man versinkt um nur mit Widerwillen und voller Wehmut wieder aufzutauchen.
Setterfield’s Sprache berührt jeden, der sorgsam und atmosphärisch erzählte Geschichten liebt. Geradezu düster-sinnlich klingen die Sätze. Das Englisch, das die Autorin gebraucht, ist beinahe körperlich spürbar – Sätze von einer melodischen Schönheit, dass man sie umarmen möchte.
Zuguterletzt macht eine fantastische Sprecherleistung von Amato und Tanner das Ganze dann perfekt.
Ein unfassbar intensives, dunkles, wunderschönes (Hör)buch.
Bewertung: 11/10