Rezension: „Frankie“ von Michael Köhlmeier

„Frankie“, Michael Köhlmeier, ©der Hörverlag

Titel: Frankie

Autor: Michael Köhlmeier

Format: Hörbuch

Sprecher: Michael Köhlmeier

Verlag: der Hörverlag

erschienen: 25.01.2023

Länge: 6:01 Std.

Zum Inhalt:

Nach achtzehn Jahren wird der Großvater des vierzehnjährigen Frank aus dem Gefängnis entlassen. Frank hat keine Ahnung, mit welchem Menschen er es zu tun hat; seine Mutter hat nie von ihm erzählt. Zwischen Ablehnung und Faszination hin- und herschwankend, nähern sich „Frankie“ und sein Großvater einander an.

Zum Hörbuch:

Wenn man Michael Köhlmeier nicht kennt (und selbst, wenn man es tut), taucht man ohne Argwohn in dieses kurze, dennoch intensive Hörbuch ein. Mit seiner Märchenonkelstimme liest Köhlmeier selbst vor, ruhig, langsam, ohne wirkliche Stimmendifferenzierung, aber auf unterhaltsame, klassische Art und Weise der Geschichtenerzähler von früher.

Die Geschichte selbst wirkt zunächst unspektakulär. Wir sind dabei, wie Frank und seine Mutter den frisch aus dem Gefängnis entlassenen Großvater gezwungenermaßen bei sich aufnehmen, ihn zu Terminen begleiten, und wie der noch überraschend fitte „Alte“ immer wieder Zeit mit Frank verbringt – mit „Frankie“, wie er ihn nennt, obwohl Frank diesen Namen ablehnt.

Das kümmert seinen Großvater jedoch nicht. Er tut es trotzdem. Meist ist er barsch zu Frank, manchmal freundlich, und immer mal kommt er mit Ratschlägen und Lebensweisen, die nicht ratsam sind sondern im besten Fall veraltet, im schlechtesten gefährlich.

Es passiert lange nicht wirklich viel in dieser Geschichte, und es wird vor allem geredet und aus der Sicht von Frank, dem Ich-Erzähler, in feiner Beobachtung der unbekannte Großvater beschrieben, seine von Distanz geprägten Interaktionen mit Franks Mutter, sein unangepasster Umgang mit seiner Umwelt.

Dabei beschleicht einen immer mehr ein ungutes Gefühl. Der Großvater, von dem wir nie erfahren, welches Verbrechen ihn für so lange hinter Gitter geschickt hat, wirkt von Beginn an grenzüberschreitend. Er hält sich nicht an Vorgaben, macht seine eigenen Regeln, dem Bewährungshelfer gegenüber, Franks Mutter, auch gegenüber Frank selber. Gesellschaftliche Normen scheinen für andere zu gelten, aber nicht für ihn, der aus einem anderen Kosmos kommt, aus dem harten Mikrokosmos einer Justizvollzugsanstalt.

Franks Ich-Erzählung ist dabei etwas gewöhnungsbedürftig und nur bedingt gelungen. Die Sprache, die Köhlmeier für ihn verwendet, wirkt nicht wie die eines Vierzehnjährigen, und im Hörbuch, mit Köhlmeiers reifer Stimme, passt das noch weniger. Franks Perspektive hört sich eher an wie die eines Erwachsenen, der sich zurückerinnert an seine Jugend. Wenn man das als Rahmen benutzt hätte – eine Retrospektive – wäre es stimmiger. So muss man sich einlassen und einen zu alt klingenden Jugendlichen akzeptieren.

Das Gefühl von schleichender Gefahr ist zunächst subtil. Bemerkungen vom Alten, kleine Abweichungen von den Vorgaben, eine Unberechenbarkeit in dem, was er als nächstes sagt oder tut summieren sich erst nach und nach. Und eine ganze Weile reagiert Frank ihm gegenüber mit Ablehnung, geht nur mit Widerwillen mit dem Großvater mit und scheint immun zu sein gegen seinen Einfluss. Er ist ihm gegenüber genauso skeptisch und argwöhnisch wie wir.

Doch je weniger die arbeitende und dadurch viel abwesende, alleinerziehende Mutter davon mitbekommt, umso mehr zieht der Großvater seinen Enkel an sich – und dann wird es auf einmal beängstigend. „Das kann nicht sein,“ sagen wir uns, während wir kopfschüttelnd, ungläubig und besorgt das Geschehen verfolgen, das in einer Art unheilvollem Roadtrip in Etappen eskaliert.

Die Ereignisse überschlagen sich am Ende. Wir suchen nach einer Erklärung. Und hier kommt die „nature vs. nurture“-Debatte ins Spiel, die sich offenbar immer wieder als Thema durch Köhlmeiers Werke zieht. Warum werden Menschen, wie sie sind? Durch Erziehung und äußeren Einfluss? Oder werden sie so geboren? Warum tut jemand das, was er tut? Gibt es darauf überhaupt eine Antwort?

Am Ende bleiben Schock und Ratlosigkeit. Und ganz viele Fragen, die im Kopf hin- und herspringen, über „Frankie“, über den Verlauf dieser Geschichte, über die menschliche Natur, über Gut und Böse.

Fazit:

Ein kurzer Roman, dessen anfänglich ruhige Beschaulichkeit einem unbehaglichen, bedrohlichen Gefühl Platz macht. Was macht uns zu dem, was wir sind? Was bestimmt unser Handeln? Unsere Gene oder der Einfluss anderer Menschen? Beides vielleicht? Köhlmeier gibt in dieser coming-of-age Geschichte zwischen einem Enkel und seinem aus der Haft entlassenen, ihm unbekannten Großvater keine Antwort auf diese Frage. Er wirft sie in den Raum und lässt uns überrascht und schockiert damit zurück.

Eine kurze, zunächst unspektakuläre Geschichte mit einem dicken Ende, das zum Nachdenken zwingt.

Danke an den Hörverlag für das Rezensionsexemplar!

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