Die Hand an der Wiege… „Dann schlaf auch du“ von Leila Slimani

Grafik: rosa Hintergrund, darauf das Hörbuchcover von "Dann schlaf auch du", ein gezeichneter KinderwagenDann schlaf auch du von Leila SlimaniTitel: Dann schlaf auch du
Originaltitel: Chanson douce
Autorin: Leila Slimani
Aus dem Französischen von: Amelie Thoma
Format: Hörbuch, CD-Box
Sprecherin: Constanze Becker
Verlag: Der Hörverlag
erschienen: 21.08.2018
Länge: 05:26 Std., ungekürzte Lesung

Inhaltsangabe:

Myriam, Rechtsanwältin und Mutter zweier kleiner Kinder, beschließt, wieder arbeiten zu gehen. Gemeinsam mit ihrem Mann sucht sie nach der perfekten Kinderfrau. Nach langer Suche entscheiden sie sich für Louise, eine zierliche Frau Anfang fünfzig, deren Tochter bereits erwachsen und deren Mann verstorben ist. Louise erobert auf Anhieb die Herzen der Kinder und macht sich schnell unentbehrlich: Sie ist Köchin, Haushaltshilfe, guter Geist. Was sie verheimlicht: ihre Einsamkeit, ihre Geldnot, ihre Verzweiflung. Die gegenseitige Abhängigkeit wird immer größer, bis irgendwann eine Tragödie über die Familie hereinbricht.

Zum Hörbuch:

Es beginnt mit einem grausigen Tatort. Das Baby ist tot, alles voller Blut. Die ältere Schwester wird noch zum Krankenhaus transportiert, stirbt aber ebenfalls an den vielen Stichwunden. Die Täterin: Louise, das Kindermädchen. Sie liegt in einer geschlossenen Anstalt und schweigt.

Auf den Thriller-Einstieg folgt ein Roman, der das „Davor“ seziert. Aus der Sicht von Louise selbst und aus der von Myriam, der Mutter der Kinder, erfahren wir, wie Louise zu der gut situierten Familie kam und ein Teil von ihr wurde – und dann auch wieder nicht. Denn Louise ist eine Frau mit zwei Gesichtern.

Da ist zum einen die begnadete „nounou“, die Nanny, die die Kinder besser beruhigen und schöner mit ihnen spielen kann als die eigenen Eltern. Die Frau, die von den Kleinen innigst geliebt wird und die, wenn sie nicht da ist, ein Loch aufreißt. Immer leicht geschminkt, immer Herrin der Lage, Kindermädchen und Haushälterin in einer Person, bis zur Perfektion – das ist ihre eine Seite.

Die andere Seite ist eine alles andere als perfekte Louise. Diese Frau kehrt zu ihrer seelenlosen Wohnung, zu ihren zweifelhaften Männern zurück, ignoriert die Post im Briefkasten und ihre eigene Tochter. Ihr Privatleben besteht – so es denn überhaupt existent ist – aus Leere und Emotionslosigkeit.

Wie sehr lebt sie dagegen auf als unersetzbares Juwel der Familie, für die sie arbeitet. Myriam, die Mutter, ist erfolgreiche Rechtsanwältin und der Rolle als Mutter schnell überdrüssig. Von Schuldgefühlen gegenüber ihren Kindern geplagt, gibt sie dennoch nach und nach Louise immer mehr das Zepter in die Hand. Paul, ihrem Ehemann, ergeht es nicht anders. Sie merken gar nicht, wie abhängig sie von ihrer Nanny werden.

Dennoch: ein wirklicher Teil der Familie wird sie nie. Da bleibt eine Mauer aus unterschiedlichem gesellschaftlichem Stand, aus finanziell ganz anderem Status. Echte Nähe und Miteinander gibt es zwischen Louise und ihren Arbeitsgebern nicht.

Louise, so zeigt sich schnell, ist genauso abhängig – und zwar von dieser Familie. Nicht nur finanziell, sondern auch emotional. Als ihre Position zu schwanken droht, verändert sich Louise und ihr Verhältnis zu Myriam, Paul und den Kindern. Beunruhigende kleine Hinweise häufen sich. Der Blick in Louises Kopf zeugt von zunehmend pathologischem Verhalten. Ein Gefühl von Manipulation, ein Geflecht von Lügen, ein Alarmzustand schleichen sich ein, dass etwas passieren wird.

Was genau dann die Tat auslöst, wird nicht vollends deutlich. Puzzlestücke. Eine kranke Hoffnung Louises, die sich als Illusion herausstellt. Realitäten, die sich nicht länger leugnen lassen. Eine Eiseskälte schleicht sich in Louises ohnehin merkwürdig emotionsarme Perspektive. Der letzte Trigger, die letzten Momente vor der Tat bleiben jedoch im Dunkeln. Das ist frustrierend. Da stelle ich in Frage, warum ich das jetzt überhaupt alles gehört und mich hineingedacht habe. Unterm Strich sage ich mir, dass dies wohl das realere Ende ist, dieses Bleiben ohne letzte Antwort. Im wahren Leben gibt es auch seltenst wirkliche Klarheit. Warum sollte das dann in einem Roman anders sein?

Zur Sprecherin:

Anfangs ist mir die Lesung von Constanze Becker nicht sympathisch. Sie hat eine recht burschikose Stimme. Irgendwas ist mir das zu aufdringlich und zu ungeschliffen. Aber mit der Zeit finde ich immer mehr, dass das passt: Eine gewisse grobe Grundstimmung, nicht weich, die der Emotionslosigkeit von Louise entgegenkommt und auch zu ihrem Alter passt. Ich wachse in diese Sprecherwahl im Verlauf des Hörbuchs zunehmend hinein.

Fazit:

Ein zunehmend beklemmender Roman über Abhängigkeiten, gesellschaftliche Wände und künstliche Realitäten. Bedrückend emotionslos geschrieben, mit Fragezeichen, die am Ende bleiben, und einer schockierenden, undenkbaren Tat als Ausgangs- und Endpunkt, ist dies ein Roman, der Unbehagen als dominantes Gefühl vor sich her treibt. Sowas liest man nicht gern, aber wegsehen kann man auch nicht. In mehrerer Hinsicht zwiespältig und dennoch fesselnd.

Bewertung:

Hörbuch: 7 von 10 Punkten
Sprecherin: 7 von 10 Punkten

Im Sinne der Transparenz: Ein Rezensionsexemplar wurde mir vom Verlag im Gegenzug für eine ehrliche Rezension zur Verfügung gestellt – vielen Dank!

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