Auch in Kapitel 30 bis 38 von „Oliver Twist“, das ich gemeinsam mit dem #TeamDickens lese, ging es äußerst spannend zu. Ein paar Handlungskniffe schienen sich allerdings zu wiederholen. Muster werden immer sichtbarer, derer sich Mr. Dickens bedient. Dazu gleich mehr.
Erstmal eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse für die, die’s nicht (mehr) parat haben.
Das ist passiert:
Mithilfe von Mrs. Maylie, ihrer Nichte Rose und Dr. Losberne kann verhindert werden, dass Oliver verhaftet wird. Eine glückliche Zeit bricht an, in der er sich von seiner Schusswunde erholt und mit zum Landsitz der Familie genommen wird. Fast wird das neue Glück zerstört, als Rose schwer erkrankt und nur knapp dem Tode entrinnen kann. Während sie sich erholt, reist ein junger Mann an: Harry, der Sohn von Mrs. Maylie. Ermöchte Rose, seine adoptierte Schwester, um deren Hand bitten, doch diese – obwohl ebenso in ihn verliebt – lehnt ab, weil sie ihm den Makel ihrer (nicht erklärten) Herkunft nicht anhängen möchte. Oliver glaubt indes, Fagin am Haus gesehen zu haben, aber eine Suche nach ihm bleibt erfolglos. Mr. Bumble hat Mrs. Cornay geheiratet und bereut es. Er wird von deinem Mann angesprochen, der sich Mr. Monks nennt und auf der Suche ist nach Informationen zu Oliver’s Herkunft. Bei einem Treffen und gegen viel Geld übergibt Mrs. Bumble ihm ein Amulett, das von Oliver’s Mutter stammt. Darin stehen ein Name und ein Datum. Mr. Monks wirft das Amulett in den Fluss unter einer Mühle.
Meine Gedanken dazu:
Die Ereignisse und Gefühle aus Oliver’s Zeit bei Mr. Brownlow scheinen sich zu wiederholen. Wieder ist Oliver halbtot, wieder wird er von liebevollen Gönnern gepflegt und aufgenommen, wieder traue ich dem Braten nicht. Dieses Hin und Her zwischen Gefahr, Glück und dem abermaligen Sturz ins Unglück samt einem Oliver, der keinerlei Einfluss auf die Geschehnisse hat, ist offenbar ein von Dickens gerne angewendetes Handlungsmuster.
Ich fühle mich bestätigt und will schon über diese Wiederholung meckern, als die gute Rose zu sterben droht – und bin froh, dass sie überlebt. Frische (und ein weiteres Rätsel) bekommt die Geschichte durch die kleine Romanze zwischen Rose und Harry. Doch auch hier eine kleine Wiederholung: Es ist die offenbar niedrige und befleckte Herkunft einer Figur, die das weitere Glück verhindert, und wieder wissen wir nicht, was genau jetzt mit Rose’s Herkunft nicht stimmt.
Dickens zieht zwischendurch noch ein paar Figuren durch den Kakao, die sich als Helden aufspielen, weil sie todesmutig den „gefährlichen Einbrecher“ geschnappt haben – der sich als kranker kleiner Junge herausstellt. Das kann Dickens gut, seine Figuren überzeichnen bis zur Karikatur und so böse bloßstellen. Das macht er auch mit Mr. Bumble und seiner frisch Angetrauten, deren Gier und Lieblosigkeit so langsam als Bumerang zu ihnen zurück zu kommen scheinen, als sie sich mit den eigenen Waffen schlagen. Ich habe das Gefühl, das wird noch sehr befriedigend mit anzusehen.
Mr. Monks und das Amulett mit der geheimnisvollen Gravur führen den „Krimiplot“ fort. Wer ist Mr. Monks wirklich? Und wer ist „Agnes“? Was hat das Datum zu bedeuten, das eine Weile vor Oliver’s Geburt liegt? Und warum will Mr. Monks, dass niemand das Amulett findet? Das Rätselraten geht weiter, und ich hatte nicht in Erinnerung und auch überhaupt nicht erwartet, dass „Oliver Twist“ neben der überdeutlichen Gesellschaftskritik und dem Abenteuer um einen Waisenknaben auch ein waschechter Krimi ist.