Rezension: ‚Doctor Sleep‘ von Stephen King

Doctor Sleep

Titel: ‚Doctor Sleep‘ (so lautet auch der amerikanische Originaltitel)

Autor: Stephen King

Sprache: Deutsch (Originalsprache: Amerikanisch)

Format: Hörbuch

Sprecher: David Nathan

Anbieter: Random House Audio, Deutschland

veröffentlicht: 28.10.2013

Länge: 20 Std 18 min (ungekürzt)

Zum Hörbuch-Download bei audible.de geht es HIER, für € 9,95 im Flexi-Abo (Normalpreis € 16,95).

Eine Hörprobe findet ihr auf der Produktseite von audible.

Beschreibung (audible):

Auf Amerikas Highways ist eine mörderische Sekte unterwegs. Sie hat es auf Kinder abgesehen, die das Shining haben. Stephen King kehrt zu den Figuren und Szenerien eines seiner berühmtesten Romane zurück: Der Dreirad fahrende kleine Danny, der im Hotel Overlook so unter seinem besessenen Vater hat leiden müssen, ist erwachsen geworden. Aber die Vergangenheit lässt ihn nicht los, und wieder gerät er in einen Kampf zwischen Gut und Böse. Die zwölfjährige Abra hat das Shining. Kann er sie retten?

Zum Hörbuch:

Klar, dass ich mich nach SHINING direkt auf DOCTOR SLEEP stürzen musste. Ich war allerdings darauf vorbereitet, dass beide Romane nur eine recht lose Verbindung und sowohl zeitlich als auch thematisch nicht viel miteinander zu tun haben.

Tatsächlich könnte man auch genauso gut Äpfel mit Birnen vergleichen. Stephen King schrieb THE SHINING 1977;  DOCTOR SLEEP erschien 2013. Auch die Hauptfigur, Dan Torrence, ist um ein paar Jahrzehnte gealtert und hat es als Einziger aus dem Overlook-Hotel in King’s Sequel geschafft. War SHINING ein klaustrophobisches Grusel-Kammerspiel, so ist DOCTOR SLEEP ein Roadtrip zwischen Angst, Trauer und Hoffnung.

Danny (der sich jetzt ganz erwachsen ‚Dan‘ nennt), reist in DOCTOR SLEEP durch mehrere Stationen im Leben, auf der Suche nach seinem Platz darin. Dabei lässt King ihn um drei große Hauptthemen kreisen: Alkoholismus, Tod und das ‚Shining‘.

Die Sucht nach Alkohol greift King – in offensichtlicher Auseinandersetzung mit seiner eigenen Biografie – in seinen Romanen ja immer wieder auf, aber noch nie so durchgängig und zentral wie in DOCTOR SLEEP. Dan’s Alkoholismus sorgt für einen drastischen, gewollt abstoßenden Einstieg in die Geschichte, finden wir ihn doch am absoluten Tiefpunkt vor. King spart nicht mit Ekel, Dreck und Abscheu und riskiert dabei sogar, dass wir den Helden des Romans erstmal angewidert ablehnen. Gut, dass er und Dan das wieder gedreht kriegen. Die wichtigste Rolle dabei spielen die Anonymen Alkoholiker: DOCTOR SLEEP ist ein unverklärtes Loblied auf diese Selbsthilfegruppe und ihr 12stufiges Therapieprogramm. Da wollte jemand wohl ein lange fälliges Dankeschön an AA loswerden…

Ein Grund für Dan’s Abgleiten in die Sucht ist das ‚Shining‘ (womit Dan’s übersinnlichen Wahrnehmungen gemeint sind). Fluch und Segen zugleich, erleben wir, wie Dan in DOCTOR SLEEP nicht nur lernt, mit seinem Anderssein und der damit verbundenen seelischen Verwundbarkeit zu leben, sondern auch, das ’shining‘ in die richtige Richtung zu kanalisieren.

Zum einen wird Dan Mentor der zweiten Hauptfigur des Romans – Abra. Ihre Geschichte – von Geburt an – ist der zweite große Handlungsbogen in DOCTOR SLEEP und kreuzt sich erst nach einer ganzen Weile mit den Wegen von Dan. Sie ist eine wundervolle Figur, deren Warmherzigkeit und Mut dafür sorgen, dass man seine Zuneigung erstmal diesem kleinen Mädchen schenkt, während Dan sich noch aus dem Morast heraus und zurück in unser Herz wühlt. Abra’s ‚Shining‘ ist noch stärker als Dan’s und umfasst außer hellseherischer Begabung noch weitere ungewöhnliche Fähigkeiten. Das sorgt für spannende, beunruhigende und – besonders in einem Fall – schockierende Momente, die dem Roman Pfeffer verleihen.

Zwischen Dan und Abra entwickelt sich eine schöne, beiderseits rettende Beziehung: Abra verliert ihre Ängste und fühlt sich nicht mehr allein; Dan darf nagende Schuldgefühle ablegen und einiges wieder gutmachen.

Dan darf aber noch mehr. Der Titel deutet auf das Thema hin, was mich persönlich in der ganzen Geschichte am meisten berührt und fasziniert hat, obwohl es eher leise daherkommt. Dan’s ’shining‘ verleiht ihm nämlich die Fähigkeit, Sterbende sanft und angstfrei durch die letzten Stunden zu begleiten und in den Tod übergehen zu lassen (daher der Spitzname ‚Doctor Sleep‘). Im Hospiz, in dem Dan nach vielem Herumtingeln seinen Arbeitsplatz und seine Berufung gefunden hat, spielen sich sanfte, liebevolle Sterbeszenen ab, die wundervoll geschrieben sind. Viele Autoren thematisieren in ihren Geschichten die Angst vor dem Tod. King findet in DOCTOR SLEEP einen Weg, für sich, für Dan und für den Leser, mit dieser Angst umzugehen. Wie sehr wünscht man sich am Ende, dass es am tatsächlichen Ende wirklich so funktioniert!

Ach ja. Da gibt’s ja noch was. Die Sache mit dem Horror und den Typen in den Wohnwagen, die quer durchs Land reisen und vampirmäßig Menschen wie Abra das ’shining‘ aussaugen. Die von dem so geernteten ’steam‘ ewig leben und nicht altern. Diese Typen namens ‚Wahrer Knoten‘ sind hinter Abra her und sorgen zwar für etwas Gänsehaut und Spannung und am Schluss einen zittrigen, recht abstrusen Showdon. Ansonsten aber hätte ich persönlich ganz gut auf diese schräge und ekelige Truppe verzichten können. Hätte man sie aus der Geschichte entfernt, wäre statt einer halbherzigen Horror-Erzählung wohl soetwas wie ein ruhiger Vollblut-Roman à la JOYLAND herausgekommen. Was mir lieber gewesen wäre. Meine Meinung. Vielleicht nicht eure.

Nicht verzichten können hätte ich allerdings auf etliche der wundervollen Nebenfiguren. King kann das inzwischen so gut – Charaktere schaffen, die uns das Gefühl geben, als liebten wir sie schon ein Leben lang und als stünden sie in 3D neben uns. In DOCTOR SLEEP gewinnt den Hauptpreis als ’supporting act‘ garantiert nur eine: Abra’s Großmutter! Schillernd, selbstbewusst, mit riesengroßem Herzen bereichert ‚Momo‘ die Geschichte so, so sehr und bekommt dafür einen denkwürdigen Platz in meiner Erinnerung.

Zum Sprecher:

Welcome back, David Nathan! Nach dem gelungenen Abstecher zu Dietmar Wunder in SHINING dringen in DOCTOR SLEEP wieder Nathans vertraute Töne in mein Ohr. Es ist, als wäre er nie weg gewesen. Gewohnt subtil, fehlerlos und intensiv erzählt sich Nathan durch seinen zig-ten Stephen King und wird dabei nicht müde. Es treffen sich hier ganz einfach zwei alte Bekannte und machen ihr gemeinsames Ding. Eine natürliche Symbiose.

Fazit:

Eine Art halbliterarisches Roadmovie in Romanform mit etwas fehl am Platz wirkendem Vampir-Faktor. Es geht natürlich um das ‚Shining‘ und die absurde Truppe, die hinter übernatürlich begabten Kindern her ist. Eigentlich aber geht es um ganz andere, wichtigere Dinge: Um Alkoholismus und die Anonymen Alkoholiker. Um den Tod, das Sterben und die Angst davor. Darum, seinen Platz im Leben zu finden und mit sich selbst ins Reine zu kommen.

Die Mischung wirkt etwas unausgegoren und hat mit dem Vorgänger, SHINING, bis auf wenige lose Fäden gar nichts mehr zu tun. Von mir aus hätte King die Vampire aus der Geschichte rausschmeißen und sich stattdessen allein auf Dan und Abra und ihre Selbstfindung konzentrieren können.

Von daher nicht der ganz große Wurf, aber ein weiterer guter Roman von Stephen King, der thematisch immer mehr an mich heranreift. Oder reife ich an ihn heran? Man weiß es nicht.

Bewertung:

Hörbuch: 7 von 10 Punkten

Sprecher: 10 von 10 Punkten

Weitere Rezensionen von Stephen King-Hörbüchern auf dem Blog:

Todesmarsch

Es

Joyland

shining

3 Gedanken zu “Rezension: ‚Doctor Sleep‘ von Stephen King

  1. buzzaldrinsblog 9. Januar 2014 / 12:53

    Ich finde deine Meinung interessant, gerade auch weil ich Joyland etwas lieber gelesen habe als „Doctor Sleep“. Vielleicht hätte es dem Roman gut getan, Horror Horror sein zu lassen und sich stattdessen auf die Entwicklung von Danny zu konzentrieren. Ich weiß es nicht, ich finde die Idee aber bei weitem nicht abwegig. :-)

    • papercuts1 9. Januar 2014 / 19:53

      Hallo Mara!

      Natürlich ist das verwegen von mir, einfach zu sagen, man hätte den Horror-Teil ja weglassen können. Ganz so simpel wäre das ja doch nicht. Aber ich habe mich einfach ständig dabei erwischt, dass ich durch die Stellen, bei denen es um den ‚Knoten‘ ging, am liebsten durchgespult hätte. Diese Seite der Geschichte hat mich einfach nicht interessiert. Für die Vampir-Figuren empfand ich nichts anderes als Abscheu, und ihre Entwicklung war mir egal.
      Außerdem hat mich DOCTOR SLEEP im Grundton oft an JOYLAND erinnert, das ich ja – so wie du – sehr gerne mochte. Da habe ich den Horror-Aspekt überhaupt nicht vermisst. Und auch hier bieten m.E. nach allein schon die Charaktere von Dan und Abra genug Potential, um auch ohne ‚Vampire‘ einen Roman zu füllen.
      Mit anderen Worten: Schön, dass du meine Idee nicht total abwegig findest!

      Gruß,
      papercuts1

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