Die liebe Nina aka Frau Hauptsachebunt veranstaltet zusammen mit dem Ankerherz-Verlag einen Schreibwettbewerb zum Thema ‚Das Meer & ich‘. Details dazu könnt ihr HIER nachlesen.
Da die Erinnerung an eine ganz besondere Flucht ans Meer im letzten Jahr immer noch in mir glimmt, habe ich sie mal in eine Anekdote gepackt – halb Fiktion, größtenteils Wahrheit. Dass ich diesen Text mit euch teile, macht mich ein bisschen nervös. Aber die Frau Hauptsachebunt will das schließlich so…
Vom Sinken und Auftauchen
Bis zum Bauchnabel stehe ich in Wasser noch wärmer als die Luft. Vor mir ertrinkt das Licht. Orange blutet es ins Meer. Der Himmel bäumt sich auf: Ein Bogen brennt flackernd nieder, versenkt die Sonne in der Bucht. Ein Windhauch, wie ein Ausatmen, und dann – Stille.
„Scheiße, hast du das gesehen?“ Cat’s Worte schwappen sachte ineinander. Mit dem Margaritaglas deutet sie auf den Horizont.
„Scheiße. Ja“, sage ich. „Das war unglaublich.“
Wir fluchen nie. Vor unseren Kindern. Vor unseren Männern. In unserem anderen Leben in kühlen Büros, an Festnetztelefonen, in Bluse und hohen Schuhen. Da nie. Aber hier.
Noch ein Schluck Margarita. Das Salz prickelt an meinen Lippen. Ich grabe meine Füße tiefer in den Sand, und es ist egal, dass sich Muschelstücke in meine Fußsohlen bohren wie Mosaiksteine.
„Ich konnte es hören. Dass die Sonne untergeht.“ Cat watet ein paar Schritte, schwankt auf dem driftenden Grund. „Da war so ein… Ich weiß nicht…“
Der Satz bleibt unvollendet. Dafür schwingt meine beste Freundin ihren braungebrannten Arm durch die Luft in einer majestätischen, rührenden Geste. Wir sind beide betrunken. Nicht nur vom Alkohol. Zwei Margaritas, und wir sind hinüber, aber anders geht das nicht. Das hier, dieser Strand, dieses Licht, dieses Meer. Das hält man nüchtern gar nicht aus.
„Ja“, sage ich schließlich. „Ich hab’s auch gehört. So ein Ton, und dann… nichts mehr. Verschluckt.“
Meine Stimme hört sich seltsam an. Vom Wind und vom Salz ein bisschen gegerbt, wärmer von der Sonne. Voller. Voller hier.
Vor zehn Tagen bin ich weidwund und grau in ein Flugzeug gestiegen. Habe alles hinter mir gelassen: Elternsprechtage, Aktenstapel, schlaflose Nächte, Lackschäden, Vokabeltests, Junkmail. Das Gefühl, immer ein bisschen zu frieren.
Zwölf Stunden später haben mich Glastüren in die Hitze Floridas gespuckt, ein Motorboot auf den Strand einer Insel.
Ich habe die Winterschuhe gegen Flipflops getauscht. Die Mütze gegen einen zerbeulten Strohhut. Das Handy weggelegt, den Computer nicht ein einziges Mal benutzt, stattdessen meine Hände zum Muscheln sammeln gebraucht.
Die Brandung hat mich in den Schlaf gewiegt, am Morgen wieder aufgeweckt. Nur zehn Schritte bis zum Wasser.
Ich bin aus einem Kayak gefallen, habe auf einer Sandbank gepicknickt, Bier aus Flaschen getrunken, Erdnussbuttersandwiches mit einem Fischreiher geteilt. Meine Höchstgeschwindigkeit war 15 mph – schneller fährt unser rostiger Golfwagen nicht. Autos sind hier verboten.
Ich bin auf dieser Insel angespült worden wie ein leck geschlagenes Boot.
Und jetzt stehe ich hier, fest im Sand vertäut. Badewasserwellen streicheln mich. Der Wind erstirbt komplett. Es glimmt in der Schwärze über mir – Sterne.
„Gott, das ist so unfassbar schön hier.“ Ich sage es, bevor es mir irgendwas zerreißt.
„Ja. Ist es.“
Cat steht neben mir, und ich fühle dieselbe Ehrfurcht, dieselbe Ruhe und Lebendigkeit in ihr.
Sie schaut in die andere Richtung der Bucht. Plötzlich steht sie ganz still.
„Schau mal da“, sagt sie leise. „Dreh dich mal um.“
Ich richte meinen Blick entlang ihrem aus. Keine drei Meter von uns entfernt hebt sich etwas Silbriges aus dem Wasser, verschwindet, taucht wieder auf. Eine gekrümmte Flosse. Ein grauer Rücken.
„Wow.“ Es ist surreal. Mein Herz klopft.
Der Delphin zieht ein paar Kreise um uns. Nah, nicht zu nah. Dann ist er fort. Wo das Wasser der Bucht auf das offene Meer trifft, sehe ich ihn springen. Einmal, zweimal. Wir schauen ihm nach, und keiner von uns sagt etwas.
Es wird jetzt vollkommen dunkel. Die Bucht ist ein Spektrum aus Schwarz, Grau und Silber.
„Wir sollten reingehen.“ Cat trinkt ihren letzten Schluck aus, Eiswürfelreste klinkern im Glas. „Komm‘.“
„Geh‘ vor“, sage ich. „Ich komme gleich.“
Hinter mir höre ich sie an Land waten. Verschluckte Fußtritte im Sand. Das Knarzen und Zuschlagen der Fliegengittertür. Dann bin ich allein.
Morgen geht es nach Hause. Zurück zu meiner Familie, die ich liebe. Zu meiner Arbeit, die ich gerne tue. Auch zurück zu Sorgen, Regeln, Verantwortung. Zu Rollen, die ich spiele. Zu Grenzen, die mir Sicherheit geben. Die mir manchmal die Luft nehmen.
Deshalb schließe ich die Augen und atme tief ein. Salz. Der Geruch von nassem Sand. Feuchtes Holz. Sonnenwarme Kokosnussschalen. Wind an meiner Haut. Der Streifen Kühle an meinem Bauch, wo sich Luft und Wasser begegnen. Über mir höre ich Sterne funkeln. An meine Beine presst sich die Flut.
Ich atme ein und halte es fest. Ich werde es mitnehmen, irgendwie: Das hier. Mich. Das Meer in mir.
So. Und jetzt lasst mich nicht allein damit. Die Frist läuft noch bis 1.6. Oder habt ihr auch schon mitgemacht und einen Beitrag geschrieben? Wenn ja, hinterlasst mir einen Link in den Kommentaren!
Wunderschön.
Danke. :)
Zuerst habe ich Deinen Text in einem Atemzug verschlungen und dann noch einmal ganz langsam genossen. Du hast Deine Gefühle und diesen Moment am Meer so großartig beschrieben – ich hatte kurz das Gefühl, als wäre ich dabei gewesen und hätte neben Dir gestanden.
Ganz groß, liebe Ute!
Die kleine Ute drückt Dir fest die Daumen.
Liebe Ute,
ich danke dir. :-) Beim Schreiben hatte ich keine Ahnung, ob das, was ich ausdrücken wollte, beim Lesen tatsächlich bei jemand anderem ankommt. Darum freue ich mich unheimlich über deinen Kommentar! Eine ganz neue Erfahrung.
LG,
die große Ute